berliner szenen: Ein paar Stunden in der Rettung
Aouh!“ Der Schrei klingt wie der eines angeschossenen Tieres. Ich sehe mich um und entdecke eine schwarze Frau. Sie liegt auf dem Boden und krümmt und windet sich. Ich renne zum Notknopf und drücke. Kurz darauf öffnet sich die Tür neben dem Anmeldezimmer der Notaufnahme. Zwei weiße Frauen stecken die Köpfe raus und beobachten die Schreiende. Dann gehen sie langsam auf sie zu: „Was haben Sie denn?“ Die Frau antwortet nicht, stöhnt aber weiter schmerzerfüllt. Eine der zwei Frauen verdreht die Augen: „Geht das wieder los.“ Die andere nickt. Ein Mann kommt dazu und meint barsch: „Sie sind hier reingekommen. Also konnten Sie bis eben noch laufen. Dann können Sie jetzt auch sitzen. Oder zu uns kommen und sagen, was ist. Sie machen den anderen hier Angst!“
Sie nehmen die Frau mit in ihr Zimmer. Ich frage mich, ob der ruppige Ton ihr gegenüber Rassismus war. Oder ob die Frau hier als Simulantin bekannt ist. Eine ukrainische Frau neben mir meint: „Wahnsinn, oder?“ Ich nicke, obgleich ich nicht weiß, was sie meint. Die Szene von eben oder die inzwischen eingetroffene Frau, die mit Dingen schmeißt und auf Bitte des Personals, ihre Krankenkassenkarte zu zeigen, laut lachend aus einem Cartoon eine Karte bastelt. Vermutlich meint sie alles.
Sie lächelt: „Gibt aber schlimmere Notaufnahmen. Mit mehr Junkies.“ Sie deutet auf einen Mann, der seit Stunden auf dem Boden sitzt und sich jammernd gegen den Kopf haut, und erzählt, sie sei öfter in Notaufnahmen: „Seit ich wegen Natriummangel im Koma lag, habe ich Angst und nehme gegen die Angst Mittel, die wiederum den Natriumspiegel senken.“ Gerade sei der so niedrig, dass sie sich nicht traue zu schlafen, weil sie fürchte, sie wache nicht mehr auf: „Also sitze ich hier, bis ein Arzt kommt.“
Eva-Lena Lörzer
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