piwik no script img

Auch im Bombenhagel herrschte soziales Gefälle

Steve McQueen erzählt vor dem Hintergrund des Bombenkriegs in Großbritannien eine Mutter-Sohn-Geschichte. Schöpft sein Film „Blitz“ das Potenzial des Projekts aus?

Rita (Saoirse Ronan), George (Elliott Heffernan) und Gerald (Paul Weller, ja, genau der) in „Blitz“ Foto: Apple TV+

Von Arabella Wintermayr

Eine Neigung zur Wiederholung kann man Steve McQueen wahrlich nicht vorwerfen. Von radikalem Widerstand eines irischen Gefangenen während des Nordirlandkonflikts in „Hunger“ über das einsame Leben eines sexsüchtigen New Yorkers in „Shame“ bis hin zu einem Heist-­Thriller aus weiblicher Perspektive in „Widows“ – der britische Filmemacher wagt sich immer wieder auf neues Terrain. Selbst nach seinem Oscar-Erfolg mit „12 Years a Slave“ setzte McQueen nicht starr auf Bewährtes, sondern blieb weiter experimentierfreudig.

Doch auch wenn sich der Regisseur und Drehbuchautor immer wieder neuen Genres, Settings und Themen widmet, zieht sich ein zentrales Motiv durch seine Werke: das Aufbegehren jener, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, das Durchhaltevermögen der Unterdrückten und ihre Widerstandskraft. In dieser Tradition steht auch sein neuer Film „Blitz“. Wie es der Titel bereits andeutet, spielt das Drama während der heftigen Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien im Zweiten Weltkrieg.

Der Fokus liegt auf dem neunjährigen George (Elliott Heffernan), der mit seiner alleinerziehenden Mutter Rita (Saoirse Ronan) und seinem Großvater Gerald (Paul Weller) in einem Arbeiterviertel im Osten von London lebt. Trotz der äußeren Bedrohung ist ihr Miteinander von Harmonie und Zärtlichkeit geprägt – umso größer ist der Schmerz der Trennung, als Rita ihren Sohn zu seiner Sicherheit aufs Land schickt. Ankommen aber wird das Kind dort nicht.

Denn George, dessen aus Grenada stammender Vater (CJ Beckford) noch vor seiner Geburt abgeschoben wurde, springt nach rassistischen Bemerkungen anderer Kinder aus dem Zug. Steve McQueen inszeniert seinen langen Weg zurück nach Hause als eine „Oliver Twist“-artige Odyssee, während der George auch immer wieder für sein Aussehen angefeindet wird und schließlich über sein Schwarzsein reflektiert.

Das zentrale McQueen’sche Motiv ist gleich auf mehreren Ebenen präsent: Während der Handlungsstrang um Rita davon erzählt, wie schwer die einfache Arbeiterbevölkerung bei Luft­alarm Schutz findet, unterläuft auch die Perspektive des jungen Protagonisten das gängige Narrativ vom bedingungslosen Zusammenhalt der Briten während des Blitzkrieges. „Blitz“ will damit sowohl verschiedene Formen der Ausgrenzung als auch die tatsächliche Diversität der britischen Bevölkerung zu Beginn der 1940er Jahre sichtbar machen.

Zumindest in seinem erzählerischen Ansinnen zeigt sich Steve McQueen damit ähnlich subversiv wie in seinen eindrücklichsten Filmen. Allerdings wird das emanzipative Moment von „Blitz“ unter einer konstruierten wirkenden Handlung und ihrer kitschigen Inszenierung begraben. Vor allem die Geschichte um George setzt sich aus schematischen Situationen zusammen, die eher einem didaktischen als einem dramaturgischen Zweck dienen.

Schnell wieder in der britischen Hauptstadt, aber noch lange nicht in seiner Nachbarschaft angekommen, begegnet der Junge etwa einer karikaturesk böswilligen Diebesbande nach Charles Dickens’Manier und einem wiederum engelsgleichen britischen Soldaten nigerianischer Herkunft. Für George wird Ife (Benjamin Clémentine) zur ersten Identifikationsfigur, nachdem der Soldat im Luftschutzbunker einen Monolog über Gleichheit hält und damit einen Streit zwischen einer Einwandererfamilie und einem weißen englischen Paar schlichtet, das nicht neben ihnen schlafen will.

Gut gemeint sind derlei Szenen sicherlich. Indem der Film aber immer wieder das Lehrstückhafte dem Lebensnahen vorzieht, kommt dem Plot allmählich die Glaubhaftigkeit abhanden – und die durchaus ehrenwerten Standpunkte, die Steve McQueen zu vermitteln sucht, verlieren angesichts ihrer Plakativität ihre Durchschlagskraft.

Dass sich „Blitz“ die meiste Zeit über als sentimentale, aber niemals sonderlich schwere Unterhaltung präsentiert – was bei einem im Kontext des Zweiten Weltkrieges angesiedelten Film durchaus irritieren darf – hängt auch mit dem artifiziellen Glanz seiner Bilder zusammen.

Insbesondere die Szenen um Mutter Rita, die erst spät von der Suche nach George erfährt und daher zwischenzeitlich bei allerlei Nichtigkeiten zu sehen ist, umgibt ein fast schon märchenhaft warmes Licht. Selbst die Munitionsfabrik, in der sie im „Rosie the Riveter“-Look als Schweißerin arbeitet, wirkt ästhetisch aufgehübscht. Die dramatische Filmmusik von Hans Zimmer tut ihr Übriges und Übliches – und treibt das Geschehen noch weiter in die Richtung eines stilisierten Herzschmerzstücks.

Nur wo der Film subtil bleibt, entfaltet er seine eigentliche Kraft. Die beinah beiläufig wirkenden Augenblicke in „Blitz“, etwa als sich die Einwohner ärmerer Stadtteile den Zugang zu den abgeriegelten U-Bahnhöfen erkämpfen müssen, sind weitaus ausdrucksstärker als seine großen theatralen Momente. Hier schafft es Steve McQueen, eine oft übersehene Dimension des Kriegsalltags einzufangen: das soziale Gefälle, das selbst im Angesicht der größten Katastrophe weiter Bestand hat.

Das zeigt, wie viel Potenzial in diesem Projekt eigentlich steckte. Statt es auszuschöpfen, überrascht Steve McQueen mit einem sehr konventionellen Film, dem sein Preishunger durchweg anzumerken ist. Für eine Überraschung aber war der Filmemacher ja schon immer gut.

„Blitz“. Regie: Steve McQueen. Mit Saoirse Ronan, Harris Dickinson u. a. Vereinigtes Königreich/USA 2024, 114 Min. Läuft aktuell im Kino, ab 22. 11. auf Apple TV+

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen