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Archiv-Artikel

Wenn das Schiff sinkt, dann wenigstens schnell ins Rettungsboot

Mit dem Griff nach Neuwahlen sichert sich die SPD den anständigen Gang in die Opposition – und vielleicht sogar die Partnerschaft in einer großen Koalition

BERLIN taz ■ So richtig begeistert klang das nicht. Auf die Frage, ob die SPD denn eine klare Koalitionsaussage für die Grünen abgeben werde, sagte Parteichef Franz Müntefering gestern nur: „Ich gehe davon aus, dass sich das notwendig im Wahlkampf ergibt.“

Mehr Einsatz für das einstige „Projekt“ Rot-Grün ist von den Sozialdemokraten nach Lage der Dinge auch nicht zu erwarten. Hielte die Partei eisern am bisherigen Bündnis fest, dann hätte sie keine Neuwahlen auszurufen brauchen. Dann hätte sie abwarten und hoffen müssen, dass irgendwann in den kommenden 16 Monaten die Wende zum Besseren eintritt.

Mit der Entscheidung, den Bundestag aufzulösen, setzen Müntefering und Kanzler Gerhard Schröder dagegen ein klares Signal: Wenn das rot-grüne Schiff schon im Sinken begriffen ist, dann steigt wenigstens die SPD rechtzeitig ins Rettungsboot. Die Wahl im Herbst lässt den Sozialdemokraten zwei Optionen offen, die sie bei einem zu langen Ausharren auf dem leckgeschlagenen Koalitionskahn nicht mehr gehabt hätten.

Sie können im Rettungsboot ausharren und mit Anstand in die Opposition gehen. Gibt es ein Patt der großen Lager, können sie aber auch bei der Opposition andocken und eine große Koalition bilden. Sollte Rot-Grün im Herbst wider Erwarten eine Mehrheit bekommen, wäre auch diese Variante nicht verbaut.

Die SPD weiß genau: Den Grünen bleibt nichts übrig, als sich an diesen Strohhalm zu klammern – und indirekt Wahlkampf für die SPD zu machen. Der Regierungsbeteiligung in den Ländern vollständig beraubt und mit keiner anderen Koalitionsoption ausgestattet, können die Grünen dem Bündnispartner die Treue gar nicht aufkündigen. Deshalb steht die Parteispitze in diesen Tagen so freud- wie kritiklos zur Koalition.

Ähnlich unerfreulich ist die Lage die SPD-Linke. Sie hat mit ihrer Kritik an der Schröder’schen Agenda-Politik nur erreicht, dass in ihren Augen alles noch schlimmer wird: Entweder entfernt sich die Partei in einer schwarz-roten Koalition noch weiter von alten Sozialstaatspositionen, oder Schwarze und Gelbe dürfen ihr als neoliberal kritisiertes Programm gleich ganz alleine durchsetzen.

Schröder selbst riskiert zwar, dass er im Herbst das Kanzleramt räumen muss. In diesem Fall geht er jedoch immerhin als der Kanzler in die Geschichtsbücher ein, der die nötigen Reformen eingeleitet hat – und sich von den Wählern heldenhaft abstrafen ließ. Eine Phase des demütigenden Niedergangs bleibt ihm erspart.

Auf Müntefering wartet in jedem Fall eine dankbare Rolle. Als Vizekanzler einer großen Koalition wäre der Mann, der schon bei den Föderalismus-Verhandlungen mit dem Christsozialen Edmund Stoiber harmonierte, bestens geeignet. Findet sich die SPD dagegen in der Opposition wieder, könnte der Kapitalismuskritiker die SPD-Reihen in Abgrenzung zu einer schwarz-gelben Regierung geschlossen halten. RALPH BOLLMANN