piwik no script img

Archiv-Artikel

Protestieren ist anziehend

Was hat denn die taz mit der Kirche am Hut? Eine ganze Menge, stellt die Theologin Sophie Rade fest. Dass die Kirche dabei mehr Kunden als das „wahrhaft protestantische Projekt“ taz hat, liegt auch an deren Mitgliederwerbung. Ein Systemvergleich

Die Anfänge

Am Anfang war das Wort, steht in der Bibel. Das hat vor 500 Jahren Luther auch gelesen und gefunden, dass das befreiende Wort Gottes keinen angemessenen Platz in der allmächtigen katholischen Kirche hatte. Seine Kritik, gedruckt und weit verbreitet, war der Beginn der größten Protestbewegung Europas.

Vor etwas mehr als 25 Jahren fand ein kleiner Verein die Worte der etablierten Tagespresse in Deutschland unerträglich einseitig. Die kritischen und machtfernen Kreise bräuchten ein Forum und eine Stimme, fanden die taz-Gründer. Ein wahrhaft protestantisches Projekt: Mit hohen Ansprüchen an die Wahrhaftigkeit des eigenen Tuns, mit großen Hoffnungen und dem Glauben, allein mit dem Wort die Welt verändern zu können – wenigstens ein bisschen.

Die ungeheure Wirkung, die Luther hervorrief, hat die Zeitgenossen überrascht – dass es die taz immer noch gibt, erstaunt nicht minder.

Merkwürdig nur, dass die taz lange Jahre geradezu reflexartig auf die Kirche eingeschlagen hat. Denn die Kultur des Protests, der sich die Existenz der taz verdankt, ist ohne den Protestantismus in Deutschland nicht zu denken. Aber das Verhältnis von geistigen Kindern gegenüber ihren Ahnen ist ja auch andern Ortes nicht das Beste.

Die 462 Jahre Zeitvorsprung der Kirche mögen auch dazu beigetragen haben, dass die Jetzt-Gestalt beider Systeme doch recht unvergleichlich ist. Hier 26 Millionen Mitglieder und 650.000 Mitarbeiter, dort 120.000 Leser und 250 Mitarbeiter. Das Vergleich zwischen taz und Kirche ist wie der zwischen einem Apfels und einer Birnenplantage.

Der Alltag

Trotz der Unvergleichlichkeit: Die Kirche und die taz als Arbeitgeber ziehen den gleichen Arbeitnehmertyp an: Er oder sie hat eine gesunde Distanz zum großen Geld, bevorzugt horizontale Karrieren und sucht (zumindest Anfangs) mit erheblichem Sendungsbewusstsein das Gute in der Welt zu fördern.

Taz-RedakteurInnen und kirchlich Beschäftigte eint auch ihre innere Freiheit, die eigene Gewissens- und Meinungsfreiheit im Zweifelsfall über die Autorität des Chefs zu stellen. Kirchenverfassung hin, Redaktionsstatut her. Die Hierarchie ist eher Konstrukt als Realität, was zu den nicht immer hochgradig effektiven und trotzdem allseits beliebten Dauerdiskussionen in den diversen Gremien führt. Das Wort, auch das gesprochene, ist die Mitte. Die Diskussion ist der zur Institution gewordene Protest.

Das Protestantische Prinzip

Protestieren hat etwas Anziehendes. Gibt der Protest doch dem Protestierer das Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen. Der Protestantismus hat dieses Gefühl institutionalisiert, indem er sich selbst zum Gegenstand ständiger Kritik gemacht hat. Das war ursprünglich nicht als Einladung zur Selbstzerfleischung gedacht, sondern als Gegenentwurf zu einer Kirche, die sich selbst an ihrer Macht berauscht und bis heute ihre Mächtigen mit Gott und ihre Kirchengesetze mit dem Wort Gottes verwechselt. Trotzdem hat sich eine Liebe zur Kritik entwickelt, die Kirche und taz durchaus miteinander verbindet. Die Wirkung nach Innen ist die stete Beschäftigung mit sich selbst. Die Wirkung nach Außen ist die stete Kritik an den stets unhaltbaren Zuständen in der Welt.

Möglicherweise besteht aber die eigentliche Herausforderung für taz und Kirche in diesen Zeiten darin, die gefühlte Überlegenheit der eigenen kritisch-distanzierten Haltung zu überdenken. Denn Kritik bleibt theoretisch und folgenarm, wenn sie sich nicht gleichzeitig verschärft darum bemüht, praktikable Lösungen für die Probleme in den Niederungen der Alltagswelt zu finden.

Die neue Nähe …

Die taz macht eine Sonderbeilage zum Kirchentag, sie ist auch überhaupt nicht mehr so kirchenfeindlich, wie ihr Ruf innerhalb der Kirche es vermuten lässt. Sucht die taz Verbündete in Zeiten des gesellschaftlichen Roll-Backs, der Siege des Konservativen und Neoliberalen, in Zeiten der linken Ratlosigkeit angesichts der globalisierten Welt? Besinnt man sich in der taz darauf, dass nicht nur sie selbst eine Stimme der Entrechteten und Armen aller Welt ist, sondern die Kirche damit schon seit 2000 Jahren ihre Erfahrungen macht?

Die Kirche wird es freuen, wenn die taz im Gefühl der thematischen Nähe über kirchliche Ideen und Projekte berichtet. Solidarität (kirchlich: Nächstenliebe), Gerechtigkeit, Frieden, Menschenwürde und Umweltschutz (kirchlich: Bewahrung der Schöpfung) sind seit je her zentrale Arbeitsfelder der Kirche – und zentrale Themen der taz.

und die bleibende Distanz

Zu großer Nähe wird sich die Kirche allerdings immer zu entziehen trachten, denn die Kirche kämpft gegen ihre Marginalisierung. Einen Kampf, den die taz nie geführt hat. Die taz war und ist marginal. Sie hat eine hochidentifizierte Leserschaft. Sie muss nicht die Massen begeistern, sondern nur die Bekenntnistreuen.

Kirche ist noch nicht marginal. Sie ist immer noch eine der größten Organisationen im Lande, die versucht gesellschaftlich auseinander strebende Kräfte zu integrieren und ins Gespräch zu bringen. Sie ist die Kirche der Arbeitgeber und der Gewerkschaftler, der Arbeitlosen und der Spitzenverdiener, der Regierenden und der Regierten, der Kinder und der Uralten. Die Spannung zwischen diesen Gegensätzen kann sie nur halten, weil ihr Glaube Maßstäbe setzt, die über das unmittelbar Erreichbare hinausgehen und die für alle in gleicher Weise Geltung beanspruchen. Die taz verfolgt partikulare und innerweltliche Interessen. Das ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Kirche und taz: Die Kirche bezieht ihr Tun auf Jesus Christus und sein Reich ist nun mal nicht von dieser Welt. Das ist die Dimension, die der taz immer fremd bleiben wird. Taz bleibt taz. Kirche bleibt Kirche. Und beide müssen sein. Sophie Rade

Die Autorin ist Theologin und Journalistin in Bremen