: Kraft im Schnabel
Im Tieranatomischen Theater der Humboldt Universität werden Haustiere zu Bildhauern. Zur Künstlergruppe CMUK, die dort ausstellt, gehören auch die Graupapageien Clara und Karl
Von Tom Mustroph
Papageien können mehr als singen. Sie können mit ihren Schnäbeln ganze Bücher zerfetzen und Kratzzeichnungen in Wände hacken. Die Bildhauer*innen Ute Hörner und Mathias Antlfinger nutzen diese Fähigkeiten der zu ihrem Haushalt gehörenden Graupapageien Karl und Clara.
Sie zeigen in der Ausstellung „Parrot Terristories“ im Tieranatomischen Theater der Humboldt Universität aber nicht nur von Papageienschnäbeln gefertigte Buchskulpturen. Sie spüren auch den Verbreitungs- und Verkaufswegen von afrikanischen Graupapageien nach und kreieren so eine komplementäre Weltkarte des Tier- und Menschenhandels. Vor allem aber legen sie Wert darauf, ihre Lebensgemeinschaft mit den Graupapageien Karl und Clara als ein Interspezies Kunstkollektiv aus menschlichen und nichtmenschlichen Tieren zu etablieren.
Karl und Clara haben Kraft im Schnabel. Diese Kraft manifestiert sich in den Lücken, die sie in stabile Buchrücken und Hunderte Seiten starke Buchkörper hackten. Das große Naturgeschichtsbuch „Die Welt in der wir leben“ von Lincoln Barnett etwa ist oben und unten angefressen. Das mag man als kritische „Überhackung“ interpretieren, denn das mit opulenten Bildtafeln aufgemachte Werk aus den 1950er Jahren schaut doch aus sehr anthropozentrischer Perspektive auf all die anderen Lebensformen.
Das kann man Donna Haraways „Manifest für Gefährten“ gerade nicht vorwerfen. Die Philosophin untersuchte dort anhand der Beziehung zu ihrem Hund Cayenne Verhältnisse zwischen Tier und Mensch. Aber auch ihr Manifest wurde von Karl & Clara einer sehr physischen Lesart unterzogen.
Auch große Transportkartons bearbeiteten die beiden Graupapageien im Haushalt von Hörner und Antlfinger mit ihren scharfen Werkzeugen. Da sich die Schnabelspuren an den Außenseiten der Kartons befinden, darf man hoffen, dass es sich nicht um Zeugnisse wütenden Protests während unerwünschter Tiertransporte handelt. Im Begleitheft machen die menschlichen Co-Künstler*innen immerhin klar, dass die Kisten sich während Renovierungsarbeiten in der gemeinsamen Wohnung befanden und die Papageien von außen eine Art gravierte Karte ihrer eigenen Bewegungsmuster schufen.
Ute Hörner und Mathias Antlfinger nobilitieren die Hackmuster jetzt als Kunst. Ihre Vier-Wesen-Konstellation mit Clara und Karl erheben sie zur Künstlergruppe CMUK, einem Akronym ihrer Vornamen. Da mag man die nächste anthropozentrische Anmaßung entdecken: Den Tieren wird Kunstwillen unterstellt, zumindest ihr Wirken in einen Kunstkontext überführt. Andererseits sorgt CMUK für einen neuen und offenen Blick auf Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen.
Die Beziehungen der Spezies Mensch und Graupapagei haben eine lange Geschichte. CMUK fördern persische Märchen zutage, in denen Graupapageien wegen ihrer Fähigkeiten, die menschliche Stimme zu imitieren, von fernreisenden männlichen Haushaltsvorständen dazu benutzt wurden, das Leben ihrer daheim bleibenden Frauen zu überwachen.
Die Frauen mussten damit rechnen, dass die Vögel auch verräterische Gesprächsfetzen etwa aus dem Munde heimlicher Liebhaber aufschnappten und dem heimkehrenden Patron darboten. Diese Praxis gibt es noch heute, wie unter anderem aus einem Mitschnitt der „Morning Show“ eines Fernsehsenders aus Nigeria deutlich wird. Wegen ihrer stimmlichen Nachahmungsfähigkeiten werden Graupapageien global gehandelt – und dafür immer wieder ihren natürlichen Habitaten entrissen.
In Nigeria und Uganda wird der Handel mittlerweile strafrechtlich verfolgt, wie mehrere Razzien in den letzten Jahren belegen. Globale Plattformen sorgen dennoch weiter für illegale Geschäfte mit den Vögeln. Das weisen die mittlerweile an der Kunsthochschule für Medien in Köln lehrenden Hörner/Antlfinger anhand der Recherchen verschiedener Aktivist*innen nach. Auf der afrikaweit agierenden Onlinehandelsplattform Jiji.ng werden sogar aktuell Graupapageien zum Verkauf angeboten.
Auch den vordigitalen kolonialen Handel nehmen CMUK ins Visier. Über Transportlisten und geschäftliche Korrespondenz wird der Weg eines ausgestopften Graupapageis im Jahr 1904 von Afrika in die Sammlung des Berliner Naturkundemuseums nachvollzogen.
Heute wird der Lebensraum der Graupapageien in Afrika nicht zuletzt durch die zunehmende Entwaldung reduziert. Da stimmt es hoffnungsfroh, dass Initiativen wie die Parrot Tree Care Takers Association in Uganda Bäume pflanzen, die Papageien und anderen Spezies als Nahrungsquelle und Schutzraum dienen können.
„Parrot Terristories“ untersucht sehr interdisziplinär die Verhältnisse von Mensch und Haustier. Historische und aktuelle Ausbeutungspraktiken werden dabei offengelegt. Wegweisend ist vor allem die Betonung von tierlicher Individualität.
„Parrot Terristories“: Tieranatomisches Theater. Bis 29. März 2025
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