piwik no script img

Flickschusterei mit rostenden Fässern

Der aktuelle Atommüll-Report von Anti-Atom-Organisationen zeigt, wo überall in Deutschland strahlender Abfall lagert und welche Sicherheitsprobleme es gibt

Von Reimar Paul

Das Atomkraftwerk (AKW)Brunsbüttel in Schleswig-Holstein hat eine lange Pannenliste, 522 meldepflichtige Ereignisse gab es dort. Nach mehreren Störfällen wurde die Anlage 2007 dauerhaft vom Netz genommen. Die endgültige Stilllegung per Gesetz erfolgte vier Jahre später. Der Rückbau des Meilers dauert laut Betreiber Vattenfall mindestens 15 Jahre. Dabei werden rund 9.000 Tonnen teils radioaktiv belastete Abfälle anfallen. Die Rückbaukosten belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Euro.

Neben dem abgeschalteten AKW sind auf dem Gelände zwei Hallen für schwach und mittel radioaktive Abfälle sowie ein Zwischenlager für hoch radioaktiven Atommüll mit Stellplätzen für Castor-Behälter in Betrieb – 20 davon sind belegt. Das Besondere: Dieses Lager verfügt über keine Genehmigung. Nachdem Gerichte die Betriebserlaubnis wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen kassiert hatten, erließ das damals vom Grünen Robert Habeck geführte schleswig-holsteinische Umweltministerium 2015 eine Anordnung, mit der das Zwischenlager zum „Bereitstellungslager“ umgewidmet wurde. Zweimal ist diese Anordnung seither verlängert worden, das letzte Mal 2020 sogar unbefristet.

Diese und viele weitere Daten zum Atomstandort Brunsbüttel gehen aus dem sogenannten „Atommüllreport“ hervor, den Umweltorganisationen am Montag in Hannover vorstellten. Es geht darin nicht nur um Brunsbüttel. Das 468 Seiten umfassende Konvolut dokumentiert, wo überall in Deutschland Atommüll produziert wurde und wird, wo er lagert, wohin er transportiert wurde und welche Sicherheitsprobleme bestehen. Insgesamt listet die Bestandsaufnahme mehr als 200 Atomanlagen an 71 Standorten auf – 84 von ihnen sind aktuell in Betrieb.

Ein Hotspot ist das östliche und südöstliche Niedersachsen mit dem maroden Atomlager Asse bei Wolfenbüttel und dem im Bau befindlichen – und von Umweltverbänden beklagten – Endlager Schacht Konrad in Salzgitter. Unweit der Grenze zu Sachsen-Anhalt liegt das einsturzgefährdete ehemalige DDR-Endlager Morsleben. Und im Kiefernwald hinter Gorleben befinden sich zwei Zwischenlager und das Erkundungsbergwerk, in dem unter Tage unter dem Deckmantel der Erkundung ein fast fertiges Endlager entstanden ist.

Mit dem von Grund auf überarbeiteten „Atommüllreport“ – eine erste Auflage war 2013 erschienen – haben die Anti-Atom-Organisationen nach eigenen Angaben eine „historische und standortspezifische Gesamtschau der Atommüllproduktion in Deutschland“ vorgelegt. Er benenne detailliert die zahlreichen Probleme an den Standorten und solle als zeitgeschichtliches Dokument sowie als Arbeitsinstrument für künftige Generationen dienen. Viele Standorte wiesen nach jahrzehntelanger Nutzung erhebliche Sicherheitsdefizite auf, hieß es bei der Vorstellung des Berichts.

„Mit der Gesamtschau übernehmen wir eine Aufgabe, die Staat und Industrie bisher versäumt haben“, sagte Autorin Ursula Schönberger. Der kürzlich vorgelegte Entwurf der Bundesregierung für das „Nationale Entsorgungsprogramm“ benenne keine konkreten Probleme.

Der Report listet mehr als 200 Atomanlagen an 71 Standorten auf – 84 sind aktuell in Betrieb

Helge Bauer von der Initiative Ausgestrahlt kritisierte die Verschiebung von Atommüll, wie etwa den geplanten Transport von 152 Castoren vom Forschungszentrum Jülich nach Ahaus. „Das Hin- und Herschieben des Atommülls“ sei verantwortungslos und keine Lösung.

Hauke Doerk, Referent für Energiepolitik am Umweltinstitut München, forderte die Bundesregierung auf, den „Sorgenbericht“ als Anstoß für eine neue Atommüllstrategie zu nehmen: „Anstatt die Probleme weiter auf kommende Generationen abzuwälzen, brauchen wir eine transparente Strategie, die die bestehenden Sicherheitsrisiken ernst nimmt, die Gefahren minimiert und konsequent den Schutz der Menschen in den Mittelpunkt stellt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen