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Einer, der Zeugnis ablegte im Warschauer Ghetto

Posthum gefundene Notizen des Widerstandskämpfers Marek Edelman über das Warschauer Ghetto sind kürzlich zum ersten Mal auf Deutsch erschienen

Von Rosa Budde

Marek Edelman war Teil des Untergrundnetzwerks der jüdischen sozialistischen Partei Bund im Warschauer Ghetto. Er war ein Anführer von Tsukunft – der Jugendorganisation des Bunds – und Kommandant im Warschauer Ghettoaufstand. Als einer der wenigen überlebte er. Da Edelman kein Zionist war, blieb er nach dem Krieg in Polen und schrieb seine Memoiren „Das Ghetto kämpft“. Veröffentlicht wurde der in polnischer Sprache verfasste Bericht bereits im November 1945 vom Zentralkomitee des Bunds in Warschau.

Darin beschreibt Edelman nüchtern die Tätigkeit seiner Jugendorganisation. Etwa, wie er und seine Ge­nos­s:in­nen in der ersten Zeit des Warschauer Ghettos Suppenküchen und provisorische Schulbildung für Kinder organisierten, oder wie sie später versuchten, die Ghettobevölkerung davon zu überzeugen, dass die massenhaften Deportationen entgegen den Beteuerungen der Deutschen keine Umsiedlungen waren, sondern in den Tod führten. Er berichtet von den Schwierigkeiten der 1942 gegründeten Jüdischen Kampforganisation (ŻOB), an Waffen zu gelangen. Akkurat erklärt er die Organisationsstruktur des Widerstands und zählt die Namen der Beteiligten und deren Aufgaben auf, wobei er sich selbst zurückhaltend in der dritten Person erwähnt: als Marek. Bewegend, aber dennoch distanziert, beschreibt er das Leid und die Verzweiflung um ihn herum, aber auch die Stärke der durch gemeinsame sozialistische Werte verbundenen Jugendlichen und ihren wachsenden Wunsch nach Rache. Er erzählt ausführlich von den Wochen des Aufstands und der anschließenden völligen Zerstörung des Warschauer Ghettos im Frühling 1943.

„Das Ghetto kämpft“ blieb lange das einzige Dokument aus Edelmans Feder. Im Zuge der erzwungenen Auflösung des Bunds durch die Kommunistische Partei Polens wurde es 1949 verboten.

Edelman arbeitete nach dem Krieg als Kardiologe in einem Krankenhaus. Infolge des erneut aufflammenden Antisemitismus in Polen verlor er 1967 seine Anstellung.

Marek Edelmann: „Erinnerungen an das Warschauer Ghetto. Das Ghetto kämpft“. Reclam Verlag, Stuttgart 2024, 262 Seiten, 25 Euro

In dieser Zeit der erzwungenen Untätigkeit schrieb er noch einmal seine Erinnerungen an das Ghetto nieder. In drei Notizheften berichtet er fragmentarisch und deutlich persönlicher als in seinen ursprünglich für den Bund geschriebenen Memoiren von seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung. Er beschreibt eindrücklich seine gefährliche und erschöpfende Arbeit als Herausgeber und Drucker mehrerer illegaler Untergrundzeitungen und berichtet auch über Momente der eigenen Verzweiflung.

Diese bruchstückhaften Erzählungen richten sich an Edelmans Frau Alina Margolis-Edelman, selbst eine Widerstandskämpferin des Warschauer Ghettos, weshalb erwähnte Personen und Orte meist nicht weiter erklärt werden. Dafür bieten Anmerkungen der Her­aus­ge­be­r:in­nen an vielen Stellen Kontext. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Memoiren scheint Edelman, der es sein Leben lang ablehnte, als Held stilisiert zu werden, in den Notizen seinen Erinnerungen ohne ideologische Intention freien Lauf zu lassen.

Kurz nachdem er die Notizen verfasst hatte, bot Edelman sie verschiedenen polnischen Zeitungen zum Druck an. Sie lehnten ab. Mit der Zeit gerieten die Notizbücher in Vergessenheit. Erst mehr als 40 Jahre später tauchten sie wieder auf. Wenige Tage nachdem Marek Edelman am 2. Oktober 2009 starb, findet eine Freundin die Hefte beim Aufräumen seiner Wohnung in einem alten Schrank. Auf Deutsch sind die „Erinnerungen an das Warschauer Ghetto“ nun gemeinsam in einem Band mit „Das Ghetto kämpft“ im Reclam Verlag erschienen.

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