berliner szenen: Nicht mehr so entspannt
Mit meinen Kindern bin ich in der Mensa der Freien Universität zum Essen verabredet. Studierende heutzutage sind im Stress und haben im Gegensatz zu uns damals wenig Zeit. Wenn sie nicht in der Uni sind, müssen sie arbeiten gehen, um Geld dazuzuverdienen, Praktika absolvieren oder sie lernen oder schreiben Hausarbeiten. Und dann warten zu Hause ja auch noch solche lästigen Tätigkeiten wie Wäsche waschen, einkaufen und putzen.
Ein Studierendenleben ist irgendwie nicht mehr so entspannt wie zu meiner Zeit, habe ich das Gefühl. Ich kannte damals einen, der im 23. Semester Soziologie und Politikwissenschaft studierte, sein Geld mit Zeichnungen verdiente, die er nach der Uni mittwoch- und donnerstagabends in den Kneipen Kreuzbergs mit den Worten verkaufte: „Ich zeichne für Geld.“ Bedeutete, er nahm Auftragsarbeiten an, zeichnete Hunde, Katzen oder Kinder von Fotos ab oder fertigte noch am Tisch kleine Karikaturen der Anwesenden an. Am Wochenende machte er Musik mit seiner Punkband, wovon er sich jeden Montag und Dienstag erholen musste. Schönes Studentenleben! „Solche Zeiten sind vorbei“, riefen meine Kinder neulich und lachten sich kaputt. Und ich bedauerte für sie, dass sie nicht etwas mehr Zeit haben, für sich und für ihr Studium.
Jetzt warte ich mit einem Kaffee auf die beiden und höre den Umsitzenden zu. Sie unterhalten sich über Scheine, Punkte und Semesterwochenstunden. Ich gähne. Zwei Typen mit zu weiten Jeans, Goldringen an den Ohren und 80er-Jahre-Vokuhilas schlappen mit Tabletts heran. Sie setzen sich in die Nähe, reden nicht und schaufeln beide einen Berg Kaiserschmarrn mit Kirschen in sich hinein. Da sagt der eine: „Ehrlich, 1,50 für so nicen Kaiserschmarrn, und ich vergess den ganzen Stress.“ Isobel Markus
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