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Bilder von Reiselust und Müßiggang

Zu seinem 40. Geburtstag sorgt das Photomuseum Braunschweig für Dialog in seiner kleinen Sammlung. Zu sehen sind Beispiele aus der Frühzeit der Fotografie, umfangreiche Nachlässe und internationale Fotografie

Von Bettina Maria Brosowsky

Mit rund 3.000 Arbeiten ist die Sammlung des Braunschweiger Museums für Photographie recht klein. Zieht man noch umfangreiche Konvolute ab, wie den Nachlass der Braunschweiger Fotopionierin Käthe Buchler (1876–1930), den das Museum 2003 von der Familie erhielt, wird es recht überschaubar. Denn allein 1.000 Glasplattennegative gehen auf ihr Konto sowie, als fotohistorische Rarität, 300 Autochrome, eine Frühform farbiger Diapositive. Buchler setzte diese kostspielige Technik ab 1913 vorrangig für künstlerisch durchkomponierte Aufnahmen ein.

Weitere Nachlässe stammen von dem lokalen Pressefotografen Hans Steffens (1915–1994) – ihn wird das Museum im nächsten Jahr einmal würdigen –, sowie Nikolaus Geyer (1968–2005). Dem einst gefeierten Newcomer des deutschen Bildjournalismus galt bereits 2016 eine Einzelausstellung rund um seine rekonstruierte Diplomarbeit, eine künstlerische Recherche zum wiedererwachenden zivilen Leben in Beirut, für die er 1997 mehrere Monate vor Ort verbrachte. 2014 war dieser Nachlass übernommen worden.

Diese Werkkomplexe können aber auch exemplarisch für das Profil und die erstaunliche Qualität der Sammlung gelesen werden: Sie umfasst ganz frühe bis hoch aktuelle Fotografie, dokumentarische bis künstlerisch freie Formen. Mittlerweile sind wohl rund 200 Fo­to­gra­f:in­nen vertreten, darunter, zumindest mit Einzelwerken, auch große Namen wie Nadar, Cameron David, Cartier-Bresson, Umbo, Moholy-Nagy oder Man Ray.

Aus diesem Fundus hat Museumsleiterin Barbara Hofmann-Johnson nun anlässlich der Feierlichkeiten zum 40-jährigen Jubiläum des Hauses eine feine Auswahl in den zwei Torhäusern des Museums arrangiert. Mit dieser klassischen Museumsarbeit, so Hofmann-Johnson, stellt sie immerwährende Themen der Fotografie vor: Porträt, Reise und Landschaft, Naturbetrachtung, Pflanzen- und Tierwelt.

Den Einstieg bildet ein Rückblick auf eine Vielzahl von Ausstellungen, die das Haus seit 1984 veranstaltet hat, erfasst in einer Wandtapete alter Plakate. Ihr gegenüber spannt sich ein Tableau aus Editionen auf, also kleinen Sonderauflagen einzelner Künstler:innen, die das Museum besonders seit Hofmann-Johnsons Leitung pflegt. Für gewöhnlich wandert deren erstes Exem­plar in die Sammlung, die sich so, streng archivarisch und kontinuierlich, erweitert.

Gegenüberstellungen

Manch Schenkung kommt hinzu, wie der gut drei Quadratmeter große, klassische Farbabzug des Kölner Fotokünstlers Boris Becker, „Lac des Dixence“, ein Stausee im schweizerischen Kanton Wallis. 2019 in der Gruppenausstellung „Reiselust und Müßiggang“ einmal zu sehen, tritt er nun in den Dialog mit frühen Fotografien zu Alpenpanoramen: ein Kohledruck der Straße zum Bernina-Pass, um 1870 erstellt in der Werkstatt von Adolphe Braun im schweizerischen Dornach, oder die Besteigung des Mont Blanc, 1862 durch die französischen Brüder Bisson in der allerersten Hochgebirgsfotografie äußerst detailreich festgehalten.

Solche Sprünge durch Zeiten, Techniken und 47 fotografische Temperamente gelingen rundum. Käthe Buchlers sensibel stille Bildnisse zweier Sinteze treffen etwa auf die spontaneistische „Lynelle“ einer Nan Goldin, Joan Fontcubertas fantastisch fiktive Tierwelt auf systematische, aber keineswegs knochentrockene Studien von Sanna Kannisto. Die Finnin begleitet mit ihrem kleinen mobilen Studio naturkundliche Expeditionen in alle Weltregionen.

Sehr humorvoll: Käthe Buchlers Doppelporträt ihrer Tochter Ellen mit Pudel Prius, um 1913 aufgenommen, lieferte 2019 dem Hannoveraner Christian Retschlag das Motiv für eine Nachstellung. Nun sitzt „Henry“ auf solch kastenartigem Möbel, neuerlich ein Zierdeckchen unter dem Körper.

Dialoge der Sammlung :

Bis 1. 12., Museum für Photographie Braunschweig, Helmstedter Str. 1;photomuseum.de

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