Kreischen für Ingeborg

Der philippinische Künstler Khavn inszenierte die eigenwillige Bachmann-Hommage „Kabaret Ingeborg“ im Roten Salon

Von Katharina Granzin

Es ist schwer zu sagen, was die Namensgeberin und Texterin dieser Veranstaltung wohl gehalten hätte von der außergewöhnlichen Ehrung, die ihr hier zuteil wird. „Kabaret Ingeborg“ nennt der philippinische Allround-Künstler Khavn die von ihm zubereitete Show nach und mit Gedichten von Ingeborg Bachmann, die es so, wie er eingangs erklärt, nur „ein einziges Mal auf diesem Planeten“ geben wird. Dafür ist der Rote Salon der Volksbühne aufwändig ausstaffiert worden mit allerlei Zierrat, der von der Decke hängt: Bücher, Bilder, Schilder mit Namen von Bachmann-Weggefährten und -Liebhabern und ein paar tot aussehende Gummihühner. Auch einen wie Khavn gibt es auf dem Planeten sicher nur einmal, nicht nur wegen der ikonisch punkigen Frisuren und Brillen, die er trägt, sondern vor allem aufgrund der schieren Masse und Breite seines künstlerischen Outputs. Khavn ist Pianist, Komponist, Sänger, Schriftsteller, Theaterregisseur und Filmemacher. Hierzulande ist er vor allem in letzterer Funktion bekannt geworden, nicht zuletzt wegen seiner Zusammenarbeit mit Alexander Kluge. Im gemeinsamen Film „Orphea“ spielt der Volksbühnen-Star Lilith Stangenberg eine weibliche Orpheus-Version, unterwegs in einer phantasmagorischen Version der Slums von Manila. Und an diesem Abend ist Lilith Stangenberg also Ingeborg Bachmann, oder so ähnlich. Khavn, der derzeit auf Einladung des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin weilt, kennt Bachmanns Gedichte vermutlich vor allem auf Englisch. Zum Ende der Show liest er einen Text in einer Sprache, bei der es sich möglicherweise um Tagalog handelt.

Ingeborg Bachmann, die 1973 starb, nur wenige Monate, bevor Khavn geboren wurde, wusste einerseits um ihre Bedeutung als Dichterin, war aber gleichzeitig voller Selbstzweifel. „Nichts mehr gefällt mir“, beginnt das letzte Gedicht, das zu ihren Lebzeiten veröffentlicht wurde. „Soll ich/ eine Metapher ausstaffieren/ mit einer Mandelblüte?/ Die Syntax kreuzigen/ auf einen Lichteffekt?“. Auf die Idee, das zu vertonen, muss man erst einmal kommen. „Nothing pleases me any more“, singt, den Abend einleitend, Lilith Stangenberg, und das reimt sich in dieser englischen Version auf „metaphor“, während Khavn sie am Klavier mit sanften Liedermacher-Akkorden begleitet, das Publikum noch in trügerischer Sicherheit wiegend. Stangenberg trägt ein Kunstpelzjäckchen im Bachmann-Style (später wird sie umsteigen auf einen dunklen Trenchcoat), hat ihre langen Haare hinter dem Kopf zusammengesteckt und raucht sogar beim Singen. Vielleicht nicht wirklich, aber Zigarette muss für Bachmann ja dabei sein.

Was Stangenberg ihren Stimmbändern zumutet, ist sowieso allerhand. Die Expressivität des Sprech-Singens, das ihr Markenzeichen ist, wird sie an diesem Abend steigern bis zu einem Kreisch-Exzess, der, begleitet vom entfesselten Noise der Begleitband, mehrere Minuten andauert und etliche ZuschauerInnen zur Flucht veranlasst. Um ein „Kabaret“ im erwartbaren Sinne handelt es sich übrigens auch insofern nicht, als das Programm komplett durchkomponiert ist. Die Musik hört niemals auf, sondern leitet stets über ins nächste Stück, wobei Bruitistisches und Liedhaftes sich in gut choreografierter Abfolge abwechseln. Das Liedhafte wird erfolgreich verkörpert vom Volksbühnen-Mitglied Benny Claessen, der den Mann an Bachmanns Seite gibt (mit leichter Max-Frisch-Anmutung in der Frisur) und im Gegensatz zu seiner Duopartnerin wirklich singt. Ein graziler Tänzer verbringt den Abend damit, im Hintergrund in bewundernswerter Weise seinen Körper zu verbiegen, auf der Wand flimmern Bewegtbilder aus Khavns Filmen vorbei. Ein erstaunliches Rundum-Angebot für die Sinne also, das immer wieder in Input-Overkill umschlägt. Von Ingeborgs Texten allerdings versteht man nur Bruchstücke.