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Archiv-Artikel

Der große Krach

LÄRM Am Mittwoch wird entschieden, ob in Frankfurt nachts gelandet werden darf. Der Streit hat die Stadt verändert

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

■ Der Termin: Am Mittwoch, 4. April, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über das bestehende Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen von 23 bis 5 Uhr sowie über das Planfeststellungsverfahren zum Bau der neuen Landebahn.

■ Die Kläger: Geklagt hatten Privatleute sowie Gemeinden. Außerdem klagt auch die schwarz-gelbe Landesregierung auf Durchsetzung von bis zu 17 Nachtflügen. Die Richter deuteten bereits an, dass sie die Nachtruhe der Menschen für wichtig erachten.

AUS FRANKFURT AM MAIN TIMO REUTER

Der hessische CDU-Politiker Boris Rhein wollte eigentlich eine Notlandung in letzter Sekunde versuchen, doch dann stürzte er bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt ab. Das Volk hat sich für den SPD-Konkurrenten Peter Feldmann entschieden. Und an allem ist nur der Fluglärm schuld, das unablässige Starten und Landen der Maschinen: Flughafen Frankfurt am Main, Luftfahrtdrehkreuz, drittgrößtes seiner Art in Europa. Es trägt zum Wohlstand bei und ist zugleich Geißel eines ganzen Ballungsgebiets.

Boris Rhein ist als hessischer Innenminister Teil einer Landesregierung, die vor Gericht gegen ein Nachtflugverbot am Flughafen Frankfurt am Main klagt. Doch als Kandidat für das Oberbürgermeisteramt in Frankfurt forderte er, der Favorit im sicher geglaubten Routinelandeanflug auf das Amt, plötzlich ein Nachtflugverbot „ohne Wenn und Aber“.

Fluglärm, nichts bewegt die Menschen im Rhein-Main-Gebiet mehr, und das schon seit Monaten. Im Oktober letzten Jahres wurde die neue Landebahn eröffnet, seitdem demonstrieren jeden Montag die Fluglärmgegner und organisieren sich in Bürgerinitiativen. Am Anfang kamen Hunderte Menschen, schnell wurden es Tausende – am vergangenen Montag waren es rund 1.500. Und: Es sind immer mehr Menschen aus dem konservativen Milieu, die protestieren. Verglichen mit den Protesten gegen die Startbahn West in den Achtzigern sind die Demonstranten heute bürgerlicher. So waren auch am vergangenen Montag auf der Demo im Terminal des Frankfurter Flughafens neben klassischer Protestklientel viele Familien, Anzugträger und ältere Menschen. Sie alle wollen nachts ihre Ruhe haben.

Auch Vertreter der Kirchen sprechen sich gegen die zunehmende Lärmbelästigung aus. Im Flughafengebäude schwenkten die Demonstrierenden Fahnen, trommelten und skandierten lautstark: „Die Bahn muss weg!“ Dann wurde es plötzlich ruhig. Die Mainzer Kirchen hatten zu einer stillen Prozession durch das Terminal aufgerufen. „Wir brauchen einen ungeteilten Himmel, unter dem alle Menschen Ruhe finden“, forderte Dekan Andreas Klodt.

Boris Rhein, der Mann von der bürgerlichen C-Partei, musste reagieren, doch seine Bruchlandung mangels Glaubwürdigkeit hängt auch mit einem Wortbruch der Hessischen Landesregierung zusammen. Im Jahr 2002 hatte der damalige CDU-Ministerpräsident Roland Koch versprochen: „Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot.“ Doch als die Landesregierung den Bau einer vierten Landebahn im Jahr 2007 genehmigte, ließ sie auch zahlreiche Nachtflüge zu.

Im Herbst 2011 schließlich verhängte der hessische Verwaltungsgerichtshof ein vorläufiges Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr. Die schwarz-gelbe Landesregierung klagte vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Durchsetzung von bis zu 17 Flügen pro Nacht – am nächsten Mittwoch wird am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über das Schicksal Frankfurts entschieden. Nachtflugverbot – ja oder nein?

Unterdessen nehmen auch an anderen Orten im Rhein-Main-Gebiet die Proteste zu. Einflugschneisen schaffen Einheit: In Offenbach gehen Schüler auf die Straße, in Flörsheim demonstriert ein ganzes Dorf.

Zwar hatten sich bereits Ende der Neunziger erste Bürgerinitiativen gegen die geplante neue Landebahn gebildet, „doch damals erreichten wir nicht das Gros der Bevölkerung, denn die Leute wussten nicht, was auf sie zukommt“, erzählt Ingrid Kopp, seit zwölf Jahren Sprecherin des Bündnisses der Bürgerinitiativen gegen Fluglärm. „Heute ist das anders“, sagt sie kämpferisch. In ihrem Bündnis sind inzwischen 82 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen. Die Solidarität, sagt die 60-Jährige, werde immer größer: „Die Menschen haben begriffen, dass der Lärm morgen auch sie treffen kann.“

Peter Feldmann, der Sieger von der SPD, konnte innerhalb dieser thermischen Gegebenheiten vergleichsweise sicher landen. Er profitierte auch von der Windstille, denn vor seiner Nominierung hatte er sich nicht eindeutig als Befürworter oder Gegner der Nachtflüge profiliert. So konnte er sich flexibel an die Seite der Ruheliebenden stellen. Zwar sprach er sich für ein Flugverbot von 22 bis 6 Uhr aus, während die Landes-SPD nur eins von 23 bis 5 Uhr forderte – aber am Ende war sein Glaubwürdigkeitsproblem geringer als das seines Konkurrenten Boris Rhein von der CDU.

Schwer tun sich auch die Grünen in der Austarierung einer eleganten Flugbahn. Ausgerechnet die Partei, die mit den Protesten gegen die Startbahn West groß geworden ist, polarisiert nun die Fluglärmgegner. Die Grünen sprachen sich zwar stets gegen den Bau der Landebahn und für ein weitreichendes Nachtflugverbot aus, machten aber auf der anderen Seite Kompromisse: In Frankfurt regieren sie seit 2006 zusammen mit der CDU. Aufgrund der Koalitionsvereinbarung enthalten sie sich seither beim Thema Flughafenausbau. Die einzige Partei, die konsequent gegen den Flughafenausbau war, ist die Linke – doch die konnte davon bei der Bürgermeisterwahl nicht profitieren.

Die Proteste aber sollen aufrechterhalten werden wie der Frankfurter Flugbetrieb. Egal wie das Gericht in Leipzig auch entscheidet, diejenigen Demonstranten, denen ein Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr nicht ausreicht, wollen so lange Krach machen, bis sie wieder Ruhe finden.