: Erinnerung an den Energiestrom von Siegfried Unseld
Die „Zeitschrift für Ideengeschichte“ über den vor 100 Jahren geborenen Verleger-Patriarchen
Bewunderung wäre das falsche Wort. Dass die Art und Weise, wie Siegfried Unseld den Suhrkamp-Verlag geleitet hat, heute selbstverständlich nicht mehr geht und auch damals, zu den großen Suhrkamp-Zeiten, patriarchalisch-autoritär war, das ist in dieser Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte, die sich im Vorfeld des 100. Geburtstages jetzt am 28. September um das „Unternehmen Unseld“ dreht, ganz klar. Aber wenn Jan Bürger die Anfänge des Verlages beschreibt, Stephan Schlak die Nähe Unselds zu den Mächtigen der Zeit, etwa zum Kanzler Helmut Schmidt hervorhebt, Mara Delius die Umrisse des Alphamannhaften der Figur Unseld abtastet, Ina Hartwig das Werben, ja Ringen Unselds um eine Autorin wie Ingeborg Bachmann darstellt oder Alexander Cammann die hofstaatshafte Inszenierung um Unselds 65. Geburtstag (inklusive Sturz von der Treppe) aufleben lässt, dann sind das nicht einfach historische Berichte oder Analysen, dann schwingt da noch mehr mit. Jedenfalls kommt einem in dieser Ausgabe mehr als ein Staunen darüber entgegen, wie Siegfried Unseld es tatsächlich geschafft hat, aus diesem Verlag etwas Weltwichtiges zu formen, und auch mehr als eine Darstellung, wie das gelingen konnte.
Was schwingt mit? Vielleicht so etwas wie ein Energiestrom, dessen Restwärme man – im Guten wie im Bösen – noch spürt. Bewunderung wäre wirklich falsch – man könnte stattdessen von einem distanzierten Fasziniertsein sprechen. Und auch von einem Gedächtnis dafür, dass die Literatur einmal nicht ständig gerettet oder beschworen werden musste, sondern tatsächlich wichtig war und Glamour ausstrahlte. Was immer auch fragwürdig an Siegfried Unseld gewesen sein mag (sein Narzissmus, sein Berserkertum, sein Wegtreten möglicher Nachfolger), er steht eben auch für die Erinnerung daran, dass es einmal gelungen ist, mit Stil, Inhalt und moderner Covergestaltung wirklich verlegerischen Erfolg und gesellschaftlichen Einfluss zu haben.
Jan Bürger, Stephan Schlak (Hg.): „Zeitschrift für Ideengeschichte“, Heft XVIII/3 Herbst 2024. Beck-Verlag, München 2024. 144 Seiten, 20 Euro
Früher war mehr Lametta? Irgendwie schon. Und nun möchte man zwar nicht genau diese Art von Lametta wiederhaben, das Männerbündische, das um Unseld herrschte, und die ständige Beziehungsarbeit, als die er das Verlegen betrieb, aber an dieses unseldhafte Selbstbewusstsein, dass gerade die Literatur die wirklich wichtigen Themen behandelt, kann man ja mal wieder erinnern. Irgendwo, denkt man beim Lesen dieser Ausgabe, hat der Literaturbetrieb es, wenn auch leise und oft gebrochen, immer noch in seiner DNA. Dirk Knipphals
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