All die kleinen Zeichen der Vitalität

Auf der Suche nach dem Unbewussten des Tanzes: Dem israelischen Choreografen Amos Hetz liegt die Genauigkeit der Beobachtung bis in die feinsten Verästelungen der Bewegung am Herzen. Lange widmete er sich der Tanzschrift. Tänzer lieben seine Projekte für seine große Offenheit. Ein Porträt

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Amos Hetz kann nicht anders. „Now let us think, what we can do for you“, überlegt er mit seinen Tänzerinnen. Die Freundlichkeit, mit der er jeden als Partner der Arbeit aufnimmt, gewinnt uns, die Besucher einer Probe in der Tanzfabrik, gleich. Sie zeigen einen Durchlauf und dann noch einmal Material für den Fotografen. Und man spürt: Eigentlich liebt Amos Hetz die Intimität eines solchen Besuchs. Für zwei Leute tanzen.

Die Erfahrungen der Probe zu teilen befriedigt ihn dann auch mehr, als am Ende ein fertiges Produkt abzuliefern. Wohl aus diesem Grund arbeitet er seit zehn Jahren an Formaten, die in jeder Aufführung etwas Neues entstehen lassen. Es gibt Vereinbarungen über den Ablauf und Material, das jeder Tänzer für sich erarbeitet hat. Offen aber ist in der Performance „Elements & Images & Gestures“ jedes Mal wieder, wer von den vier Tänzerinnen und dem Musiker Michael Turnbull zum Beispiel in ein Duo oder Trio einsteigt, ob er sein Material gegen das des anderen setzt oder Bewegungen vom anderen aufnimmt und transformiert, als sein Spiegel oder Widerpart agiert. Diese Spannung, Entscheidungen zu fordern und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen, ist eines der konstanten Subthemen von Amos Hetz.

„Tanz ist kein Theater“, sagt er. Wiederholungen einer einmal gebauten Form interessieren ihn nicht. Er lässt keinen Zweifel an seinem Unbehagen gegenüber den athletischen Tänzertypen und den großen Compagnien, die in seiner Heimat Israel und nicht nur dort die Tanzszene dominieren. Er dagegen setzt vor allem darauf, am Verständnis von Bewegung zu arbeiten, und das verlangt zuerst, Bewegungen sehen und erinnern zu lernen. Gerade auch solche, die keinen gemeinsamen Fokus, keinen gemeinsamen Rhythmus, kein einheitliches Tempo haben. Plötzlich weist er aus dem Fenster des Cafés, das wir nach der Probe besuchen: „Auf die Straße zu schauen, das ist für mich die schönste Choreografie.“

„Seit hundert Jahren arbeitet die Kunst daran, die Grenze zwischen Vordergrund und Hintergrund aufzuheben. Was sich dazwischen ereignet, enthält viele Informationen und das Unbewusste des Tanzes. Dieser Subtext ist sehr wichtig, das Unbewusste ist viel größer als das Bewusste, all die kleinen Zeichen der Vitalität“, sagt er. Wie sich die Wirbelsäule bewegt, wie der Atem integriert wird. Und weil er glaubt, dass dies in kleinen Räumen besser verfolgt werden kann als auf großen Bühnen, hat er in Israel 1989 das „Room Dance Festival“ gegründet, das er seit sechzehn Jahren leitet.

Eine Zeit lang sammelte er Body Stories, Geschichten über Körperteile. Für den Fuß zum Beispiel: „Der Pianist Arnon Erez wollte sein Spiel verbessern und besser verstehen. Dabei fand er heraus, dass die Finger seiner Hand weiter griffen und seine Fähigkeiten am Piano wuchsen, wenn er sich Bleistifte zwischen die Zehen steckte.“ Die Sammlung enthält Märchen, medizinische Fallbeispiele und natürlich Geschichten von Choreografen. Sie wurde Teil einer Performance, bei der er die Texte vorlas, während die Tänzerin Amat Shamgar dazu ihre Bewegungen entwickelte. Jeden Abend entschieden sie neu, welche Geschichten er las. Das war vor zehn Jahren, seine erste Arbeit mit Text.

Amos Hetz kann auf einen langen Weg zurückblicken. Er war Gründer des Movement Department in der Musikakademie von Jerusalem, das er bis vor drei Jahren leitete. Er hat für eine eigene Compagnie choreografiert. Ein wichtigstes Betätigungsfeld war für ihn die Notation, eine Bewegungsschrift, die er seit 25 Jahren in aller Welt unterrichtet. 1992 verbrachte er ein Jahr in Berlin als Stipendiat des Wissenschaftskollegs. In Deutschland, in den Tanzzentren von München, Potsdam und Berlin, aber wird er vor allem für die Offenheit seiner choreografischen Projekte geschätzt.

Kein einziges Mal fällt in den Gesprächen das Wort „Improvisation“. Das Selbstverständnis von Amos Hetz und der Tänzerinnen Eleanore Allerdings, Sabine Dahrendorf, Katja Mücker und Sigrid Spachtholz ist eher eines der Bewegungsforschung. Doch so genau sie auch reflektieren, was sie gerade tun, erhält das Publikum dennoch auch Bilder, über die sie kaum zu reden scheinen. Zum Beispiel dass hier ein älterer Mann mit vier jüngeren Frauen tanzt, ein Lehrer und seine Schülerinnen. Fast alle Tänzerinnen sind zugleich Feldenkrais-Lehrerinnen, und Amos Hetz selbst hat mit dem Bewegungsanalytiker Moshe Feldenkrais lange zusammengearbeitet. So entsteht in seinen Workshops und Projekten nicht selten das Bild einer Gemeinde von Körpertherapeuten.

Vielleicht ist es ihm gerade deshalb wichtig zu betonen: Tanz ist keine Therapie. Kein Ort primär für die Selbsterfahrung. Viel wichtiger ist ihm der Begriff der Verantwortung. Das hat sicher auch mit seiner Herkunft und seiner Generation zu tun. Hetz ist 1933 in Tel Aviv geboren, Sohn polnischer Einwanderer. Israel war ein kleines Land, bestimmt vom Zionismus und voll des Pathos des Aufbaus, der mit dem Holocaust und dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen großen Schub erhielt. „Da brauchte man starke Motive, um sich für die Kunst zu entscheiden“, erinnert sich Hetz. Zumal seine Kunst sich in eine Richtung entwickelt, die dem Idealismus und den großen Gesten der Selbstbehauptung fern steht.

„Elements & Images & Gestures“, 27. bis 29. Mai, 20.30 Uhr, Tanzfabrik, Möckernstr. 68