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Archiv-Artikel

Absturz der großen Namen

Erstmals versagt die deutsche Handball-Liga drei Bundesligisten die Lizenz für die kommende Saison. Der SG Wallau/Massenheim, TuSEM Essen und Post Schwerin droht somit die Regionalliga

AUS KÖLN ERIK EGGERS

Ein schlichtes Fax verkündete den Absturz. Vor zwei Wochen noch jubelte Klaus Schorn über den Gewinn des Handball-Europapokals, nicht zuletzt weil der 70-jährige Manager des TuSEM Essen hoffte, mit dem Triumph den schleichenden Niedergang der letzten Jahre aufhalten zu können. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft allerdings trog, gestern Vormittag zerstörte ein Fax aus der Zentrale der deutschen Handball-Liga (HBL) alle Visionen. „Nach intensiven Beratungen“, so hieß es da, habe der Vorstand der HBL „auf der Grundlage der Empfehlungen des Gutachter-Ausschusses“ eine Entscheidung für die nächste Saison getroffen. Weiter unten, unter der Rubrik „Keine Lizenz erhalten“, stand schließlich auch der Name TuSEM Essen. Der deutsche Meister der Jahre 1986, 87 und 89 muss demnach in die Regionalliga absteigen. Schorn, der den Ausfall des Großsponsors Weinerplan nicht kompensieren konnte, war ob dieser Nachricht sprachlos: „Sie werden verstehen, dass ich dazu noch gar nichts sagen kann.“

Den dienstältesten Manager der Liga wird kaum trösten, dass das harte Schicksal seines Klubs kein Einzelfall ist, sondern nur ein Mosaik beim radikalsten und spektakulärsten Schnitt in der Geschichte der seit 1977 bestehenden Handball-Bundesliga. Die SG Wallau/Massenheim, Meister der Jahre 92 und 93, erhält nämlich ebenso wenig eine Lizenz wie Post Schwerin. Beide Klubs haben sich in dem Bestreben, in der stärksten Liga der Welt mithalten zu können, schlichtweg verzockt. In der zweiten Liga Nord trifft es die Reinickendorfer Füchse, im Süden die SG Willstätt/Schutterwald und die SG Werratal. Vom Zwangsabstieg profitieren in der höchsten Klasse der VfL Pfullingen und GWD Minden, das nun nicht in die Relegation muss, entsprechend spielen die SG Kronau/Östringen und Eintracht Hildesheim am Samstag den letzten BL-Aufsteiger neben Delitzsch und Melsungen aus (Hinspiel 33:29). Aus den zweiten Ligen steigt in diesem Jahr kein Klub ab. Europapokalsieger Essen wiederum wäre auch als Regionalligist berechtigt, im EHF-Pokal zu spielen, im Verzichtsfall rückt FA Göppingen nach.

Die Szene reagierte gestern teilweise geschockt, billigte aber das Vorgehen der HBL. „Das ist eine bittere Erkenntnis, weil Essen und Wallau große Namen im Handball sind“, sagte Uwe Schwenker, Manager des THW Kiel. Andererseits begrüßten jene Klubs mit seriös kalkulierten Etats die Entscheidung des achtköpfigen Ligavorstandes, der einer Empfehlung von Geschäftsführer Frank Bohmann sowie Wirtschaftsprüfer Siegfried Friedrich nachkam. „Das ist alles sehr konsequent“, sagte Thorsten Storm, Manager der SG Flensburg. „Es gibt verbindliche Regeln, und danach muss entschieden werden.“ Schon vor Wochen hatte HBL-Vorstandschef Bernd-Uwe Hildebrandt ein hartes Durchgreifen angekündigt, da „sonst die kleinen Vereine, die seriös arbeiten, klagen werden“.

Die handballhistorische Zäsur – noch nie wurde bisher einem Erstligaklub die Lizenz verweigert – ist ein mutiges Signal der 2002 konstituierten Profiklub-Vereinigung, das unseriöse Geschäftsgebaren einiger Klubs unterbinden zu wollen. Noch im letzten Jahr war dem HSV Hamburg die Lizenz erteilt worden, obwohl der Liga zwei Insolvenzanträge gegen den Verein bekannt waren. Geschäftsführer Bohmann erklärt die Politik des harten Durchgreifens mit dem Prinzip des fairen Wettbewerbs, das alleine Glaubwürdigkeit herstelle: „Das Verfahren wurde ohne Rücksicht auf Namen, Marken oder Tradition durchgeführt. Alle wurden gleich behandelt. Es bleibt uns nicht anderes übrig, als die Liga kurz- oder langfristig auf gesunde Beine zu stellen.“ Die Liga ist die negativen Schlagzeilen um die zahlreichen Insolvenzen schon seit längerem leid. „Für viele sind wir nur die Pleite-Liga“, hatte Bohmann im Frühjahr über das schlechte Image geklagt.

Den betroffenen Klubs bleibt allerdings noch die Möglichkeit einer Beschwerde bei der HBL; diese muss nach Auskunft von HBL-Rechtsbeistand Andreas Thiel eine Woche nach Zustellung des Lizenzbescheids eingehen. „Wenn die Beschwerde abgelehnt wird, wovon auszugehen ist, können die Klubs noch das ständige Schiedsgericht für Lizenzvereine anrufen“, erklärt Thiel: „Im ungünstigen Fall“, wenn etwa Wallau und Essen doch die Lizenz erhielten, „wird in der nächsten Saison mit 20 Klubs in der Ersten Liga gespielt“.

Sowohl Wallau als auch Essen kündigten bereits gestern an, die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen zu wollen. Das Thema, so steht zu befürchten, wird den deutschen Handball noch eine ganze Weile beschäftigen.