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Archiv-Artikel

Gewaltfreiheit kann man lernen

ZIVILER FRIEDENSDIENST Die Aufbauhelfer des ZFD arbeiten zwischen Erfolg und Scheitern, zwischen Krieg und Frieden

Konflikte eindämmen

Gewalt ohne militärische Mittel eindämmen und die zivilen Kräfte der Gesellschaft dabei stärken, Konflikte friedlich zu regeln: Das sind die Ziele des Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Speziell vorbereitete Fachkräfte unterstützen örtliche Partnerorganisationen dabei, den Ausbruch gewaltsamer Konflikte im Vorfeld zu verhindern, Konflikte friedlich beizulegen, nach Konflikten friedensfördernde Strukturen aufzubauen und dadurch zu einer langfristigen Friedenssicherung beizutragen. Der ZFD wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert, von 1999 bis 2009 mit rund 116,8 Millionen Euro. Der Etat stieg im laufenden Haushaltsjahr von 19 auf 30 Millionen Euro – ein Zuwachs von 58 Prozent. Seit Gründung des ZFD wurden insgesamt 514 Fachkräfte in 50 Länder entsandt – nach Afrika, Asien, Lateinamerika, in den Nahen Osten und auf den Balkan. Derzeit sind 185 Fachkräfte in 45 Ländern im Einsatz. Sie arbeiten grundsätzlich mit örtlichen Partnerorganisationen oder Friedensinitiativen zusammen. Sie bereiten die Fachkräfte auf ihre Einsätze vor und entsenden sie.

Quelle: Konsortium Ziviler Friedensdienst

VON DOMINIC JOHNSON

Mit Maschinengewehren und Trillerpfeifen stürmen die Milizionäre den Hof. Sie stehlen das Vieh ihrer Rivalen unter den Augen schlafender Soldaten. Die Soldaten wachen auf und retten fast alle Kühe, sie erbeuten sogar den Waragi-Gin, mit dem die Angreifer aus einem Nomadenvolk sich Mut angetrunken hatten. Die zerknirschten Nomaden lassen sich überreden, ihre Gewehre abzugeben. Nach einigem Hin und Her sind alle Waffen weg, die Armee sorgt für Ordnung, die Regierung verspricht Staudämme und Schulen. Alle sind glücklich und zufrieden.

Begeistert verfolgen afrikanische und europäische Zuschauer auf weißen Plastikstühlen im Hof des „Soroti Hotel“ in der gleichnamigen ugandischen Kleinstadt das Theaterspektakel in drei Akten. Organisiert von der lokalen Friedensgruppe „Teso Initiative for Peace“ unter Anleitung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), soll es den Nomaden der bitterarmen, seit vielen Jahren von blutigen Viehkriegen erschütterten Region Karamoja nahebringen, dass Frieden besser ist als Krieg. Holzgewehre ersetzen in der Vorstellung die Kalaschnikow.

Es ist ein typisches Projekt des Zivilen Friedensdienstes (ZFD), der dieses Jahr seinen 10. Geburtstag feiert. Die Idee: Deutsche Entwicklungshelfer mit Spezialausbildung helfen lokalen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Konfliktgebieten bei friedensfördernder Arbeit. 1999 von Deutschlands rot-grüner Regierung nach dem Kosovokrieg als zivile Alternative in der Außenpolitik konzipiert, hat sich dies mittlerweile zu einem immer wichtigeren Standbein der Entwicklungshilfe gemausert.

Der Zivile Friedensdienst sei „die kostengünstigste Sicherheitspolitik für Deutschland“, lobt Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Gespräch mit der taz. Der Einsatz „mag natürlich, verglichen mit anderen Zahlen, etwa des Militärs, gering vorkommen“ – aber er funktioniere: „In Niger ist die Vermittlung zwischen sesshaften Ackerbauern und wandernden Nomaden ein Erfolg geworden, und das zeigt, dass mit geringen finanziellen Mitteln möglich ist, zu verhindern, dass aus kleinen Konflikten große werden.“

ZFD-Arbeit erschöpft sich nicht in Theateraufführungen. Im ugandischen Soroti werden Journalisten ausgebildet und Staudämme instand gesetzt. In Ruanda helfen ZFD-Fachkräfte Frauenorganisationen bei der Begleitung lokaler Gacaca-Gerichtsverfahren zur Aufarbeitung des Völkermordes. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo arbeiten ZFDler bei der Hilfsorganisation „Heal Africa“ in Goma, die Opfer sexueller Kriegsverbrechen betreut, und beim einflussreichen katholischen Radiosender Maendeleo in Bukavu. Von Kosovo bis Afghanistan werden zivilgesellschaftliche Gruppen vom ZFD gestärkt.

„Die Fachkräfte des ZFD arbeiten vor Ort grundsätzlich immer mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, weil diese in ihrer jeweiligen Gesellschaft und Kultur verwurzelt sind und Frieden nicht von außen gestiftet, sondern nur gemeinsam erarbeitet werden kann“, erklärt das Konsortium Ziviler Friedensdienst, Dachverband der meisten Entsendeorganisationen. „Die Perspektive der außenstehenden Fachkräfte kann dabei neue Sichtweisen einbringen und Friedensprozesse wirksam anstoßen und begleiten.“

Aber so überzeugend dieses Konzept in der Theorie ist, so schwierig gestaltet es sich zuweilen in der Praxis. Mangelhafte Sprachkenntnisse und fehlendes Hintergrundwissen findet sich beim ZFD genauso wie in allen Bereichen der Entwicklungspolitik. Im Bereich der Friedensstiftung hat das allerdings gravierendere Folgen als etwa im Straßenbau. In einem Bürgerkriegsgebiet stellte eine Fachkraft als rechte Hand einen ehemaligen Armeeoffizier ein, in einem anderen arbeitete jemand als Übersetzer, dem Teile der Bevölkerung nachsagten, für den Geheimdienst eines Nachbarlandes tätig zu sein. Und man mag sich gar nicht vorstellen, was wohl eine Evaluierung zu der Mahnung veranlasste: „Direkte persönliche Einmischung von Friedensfachkräften in gewalttätige Auseinandersetzungen ist nicht sinnvoll und extrem gefährlich.“

Kluge Friedensfachkräfte des ZFD wissen, dass sie nichts wissen. Sie können höchstens Gelegenheiten anbieten, in denen Konfliktparteien aus festgefahrenen Rollen austreten können.

Das ist der Nutzen von albern erscheinenden Rollenspielen, sagt Kathrin Groninger, bis letztes Jahr ZFD-Leiterin beim DED in Ruanda. Sie schildert Arbeit mit Tutsi-Völkermord-Überlebenden, in dem eine Szene vorgegeben ist, die Beteiligten sich den Dialog aber selbst ausdenken. „ ‚Warum haben wir keine Verwandten, wo sind Oma und Opa‘, fragt das Kind. Die Mutter antwortet: ‚Die Hutu haben sie umgebracht‘. Das Kind fragt: ‚Sind die Hutu böse?‘ “ Groninger erzählt weiter: „Es war erstaunlich, wie viel Stigmatisierung in den Antworten steckt, wie viel Konfliktpotenzial. Wenn die Mutter sagt: ‚Die Hutu sind die Mörder‘, dann sagt das Kind: ‚Wenn ich groß bin, werde ich Soldat und bringe die Hutu um, dann kann ich dich beschützen‘. Da versuchen wir zu unterbrechen: Wenn du das dem Kind so erklärst …“

Solche beharrliche Arbeit an Einzelnen erfordert viel Geduld und Reife. „Das ist kein Job, sondern ein Beruf,“ sagt Martin Zint vom Weltfriedensdienst, einer der kleineren Entsendeorganisationen. Die in der Entwicklungszusammenarbeit übliche Projektlaufzeit von drei Jahren ist da ungeeignet, erkennt Carsten Montag, Sprecher des Konsortiums Ziviler Friedensdienst: „Drei Jahre sind nicht lang genug, um nachhaltig bis zum Status-quo-Frieden zu gelangen. Wir arbeiten mit Menschen an Strukturen und Prozessen, das dauert länger.“ Aber so viel Zeit gibt es meist nicht. Ursprünglich sollte die Ausbildung von Friedensfachkräften ein Jahr dauern. Die Ausbildung ist inzwischen auf vier Monate verkürzt worden. Groninger war nur vier Jahre in Ruanda; das geschilderte Frauenprojekt lief Ende 2008 aus.

Kluge Friedensfachkräfte des Zivilen Friedensdienstes wissen, dass sie nichts wissen

Der Nutzen entsandter „Friedensfachkräfte“ aus Deutschland wird daher zunehmend bezweifelt. Mit dem Gehalt einer einzigen deutschen Fachkraft könne in Afrika eine komplette Organisation finanziert werden, heißt es. „Es ist völlig unnütz, jemanden zu schicken, der sagt: Frieden muss so und so aussehen. Der ZFDler muss nicht unbedingt Friedensexperte sein. Er muss vor Ort die Organisationen stärken, die das machen“, sagt Christiane Kayser vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) im Kongo. Dessen Ziviler Friedensdienst leistet Aufbauhilfe für lokale Organisationen, ohne ihnen zu sagen, was sie machen sollen. Die entsandten Fachkräfte werden Angestellte der lokalen Partnerorganisationen. „Die Fachkraft darf nicht der Geber sein“, betont Kayser. Langfristig könnte der Erfolg des Zivilen Friedensdienstes darin bestehen, sich überflüssig zu machen.

Einer Illusion darf sich der Zivile Friedensdienst nicht hingeben: zu denken, er könne Frieden schaffen. Die politischen Rahmenbedingungen kann ZFD-Arbeit nicht verändern, sie kann höchstens den Umgang einzelner Menschen damit beeinflussen. Das aber macht es schwer, den Erfolg eines ZFD-Projektes zu messen.

Im Osten Ugandas wurde die ZFD-Arbeit in Soroti anfänglich dafür kritisiert, dass sie die konfliktfördernde Rolle der Armee negiert habe – zum Beispiel die gewaltsame Entwaffnung einzelner Nomadenstämme, die dann gegenüber ihren Nachbarn schutzlos sind. Aber im Laufe der Jahre sei etwas Nachhaltiges entstanden, loben ugandische Beobachter. „Die Teso Initiative for Peace hat großartige Arbeit geleistet“, sagt Radiojournalist David Okurut in Soroti. „Sie haben Vertriebene wiederangesiedelt, es gibt sogar interethnische Hochzeiten.“

Das stand sicher nicht im ursprünglichen ZFD-Projektantrag. Aber in anderen Bereichen gibt es dafür Rückschritte: „Es gibt weniger Viehdiebstahl, viele Leute sind in ihre Dörfer zurückgegangen, aber dort stehen sie vor riesigen Problemen“, berichtet Okurut. „Seit sechs Monaten hat es nicht geregnet, es gibt eine schwere Dürre und Menschen verhungern.“ Es fehlt nicht viel, und die Konflikte brechen wieder auf und die ganze Arbeit war umsonst. So schmal ist die Linie zwischen Erfolg und Scheitern, zwischen Frieden und Krieg.