Keine Reue vor Gericht

PROZESS Mutmaßlicher Doppelmörder aus Wedding will nicht zum Fall aussagen

Mehmet Y. will nicht hören, was ihm vorgeworfen wird. Die Staatsanwältin setzt gerade an, die Anklageschrift vorzulesen, da steht er auf und wendet sich ab. „Sie bleiben sitzen“, sagt der Vorsitzende Richter. „Es ist Unrecht, ich kann nicht hierbleiben“, sagt Y. und steht im Glaskasten, ein schmaler Mann mit braunem Bart.

Seit Montag muss sich der 25-Jährige vor dem Landgericht verantworten. Die Anklage: zweifacher Mord, dreifacher Mordversuch. Laut Staatsanwaltschaft ist am 4. August 2011, 10.15 Uhr, Kolberger Straße in Wedding, Folgendes geschehen: Y.s Exfrau, 24, ihre Mutter, ihr Bruder, ihre Schwester und deren Mann sind gerade ins Auto gestiegen, sie wollen zur Ausländerbehörde fahren. Dann tritt Mehmet Y. um die Ecke und schießt gezielt auf sie, zwölf Mal, „aus Rache, Hass, Eifersucht und Frust um den Verlust des Aufenthaltsstatus“.

Die Mutter und die Schwester sterben, der Bruder überlebt knapp. Die Exfrau erleidet einen Schock. Mehmet Y. hat sie und ihre Familie töten wollen, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Für sie war es Mord aus „niederen Beweggründen“. Seine Frau hatte sich von Y. scheiden lassen. Laut Gerichtssprecher Tobias Kaehne hat der Angeklagte in den Vernehmungen bestritten, dass er sie töten wollte. Er habe nur das Auto stoppen wollen, um reden zu können. Drei Tage nach der Tat wurde er festgenommen, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.

Kritik an der Justiz

Y.s Exfrau ist nicht zum Prozess erschienen. Ihr Anwalt Nurani Turan erklärt, sie habe Angst und befürchte, dass ihr Exmann keine lebenslange Freiheitsstrafe bekomme. Ihr Vater meldet sich auf dem Gerichtsflur selbst zu Wort. Ihm gehe es sehr schlecht, sagt er auf Türkisch. Er hoffe, dass Mehmet eine gerechte Strafe bekomme. Der Vater übt auch Kritik an der Polizei und Justiz. Die Tat hätte verhindert werden können. Tatsächlich hat Mehmet Y. seine Exfrau vorher mehrfach bedroht, er war wegen Körperverletzung vorbestraft, sollte in die Türkei abgeschoben werden.

Mehmet Y. spricht mit dünner Stimme, sein Deutsch ist holprig, man versteht ihn kaum. Er wolle jetzt 13 Gründe nennen, warum er kein Vertrauen zu seinem Verteidiger habe, sagt er. Schon vorher hatte er entsprechende Anträge gestellt. Sein Verteidiger Benediktus Youn beantragt, die Verhandlung zu unterbrechen.

Das Gericht lehnt die Ablösung des Pflichtverteidigers dann ab. Aber auch Youn will so nicht weitermachen. Sollte kein zweiter Pflichtverteidiger bestellt werden, möchte er von seinem Mandat entbunden werden. Noch ist in dieser Sache keine Entscheidung gefällt. Der Prozess soll am Mittwoch fortgesetzt werden. SEBASTIAN ERB