piwik no script img

wortwechselDiese missratenen Kinder der Moderne – Pazifisten!

Frieden scheint heute nur noch ein Wort – zum Draufhauen. Altpazifisten werden behandelt wie naive Träumerkinder. Lieber Kriegszorn! Aufrüsten! Männermenschheitsdämmerung?

„Linker Grüner sagt zum Abschied leise Peace: „Es braucht Friedensgespräche“. Minister Winfried Hermann kündigt seinen Rückzug an, bleibt aber engagierter Pazifist und fordert die Bereitschaft zu Verhandlungen mit Russland“,

taz vom 9. 9. 24

Nachdenkliche Position

Erfreulich, dass die taz sich einmal bereitfindet, einer nachdenklichen Position Platz zu geben – bislang hat sie sich stets am Niederbrüllen all derjenigen beteiligt, die gemahnt haben, auch an Verhandlungen und nicht nur an militärischen Sieg zu denken, vom Papst bis Mützenich und anderen. Den Hinweis, „Friedenspolitik muss die Interessen der anderen verstehen, nicht rechtfertigen“, haben schon viele gegeben, aber Hermann ist offenbar der Erste, der für diesen eigentlich selbstverständlichen Satz nicht sogleich von so vielen (auch der taz) als Putinfreund oder Rechtfertiger des Krieges beschimpft wird. Was jede Diskussion erstickt. Bleibt zu hoffen, dass diese Einsicht Bestand hat und auch die taz künftig differenzierter über den Krieg und seine Hintergründe berichten wird. Friedrich Steinle, Berlin

Ich kann Winfried Hermann mit seinen Äußerungen nur beipflichten. Wie lange soll der Stellungskrieg noch gehen? Wofür hätten beide Seiten gekämpft, wenn am Ende all dies so weit zerstört sein würde, wofür sie sich eingesetzt haben? Ich bin als christlicher Pazifist (Jesus Christus war Pazifist!) für Verhandlungen und Gewaltverzicht, ohne Vorbedingungen, mit Empathie für beide Seiten. Dies ist nicht naiv! Christian Harms, Überlingen

Wir „Erstgrünen“ haben in den 1980ern leidenschaftlich gegen Nachrüstung und Mittelstreckenraketen gekämpft, gegen die weitere Eskalation des Nuklearwaffen-Wahnsinns der Weltmächte und diese unseligste Rechtfertigungsdoktrin der Moderne: Weltfriedenssicherung durch ein „Gleichgewicht des Schreckens“. Die Friedensbewegung versuchte die Welt aufzurütteln gegen die kaum noch zu stoppende Exterminismusspirale. Ein entscheidender zweifacher Unterschied aber liegt zwischen 1985 und 2022: Unser 1980er Protest richtete sich gegen die Eskalationsspirale beider Atomsupermächte – im Wissen darum, dass jetzt nichts wichtiger als pazifistische Politik sei! Damals hatte noch keine Nuklearweltmacht einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Dieses Verbrechen geschieht nun. Putin bekriegt in imperialistischer Gier sein Nachbarbrudervolk mit der Drohung von Atomwaffeneinsatz.

Michael Rannenberg, Berlin

Frieden ohne Freiheit?

Wie ist es möglich, dass in diesem Interview nur Russland das beherrschende Thema ist und nahezu kein Gedanke auf die Ukraine und ihre Menschen gerichtet ist? Völlig zutreffend beklagen so viele bedeutende UkrainerInnen, dass sie nicht gehört werden: Oksana Sabuschko, Serhij Zhadan (Zitat: „Der Fehler des falschen Pazifismus“), Sergei Loznitsa, Jurij Andruchowytsch sowie die Historikerin Anne Applebaum, die georgisch-deutsche Schriftstellerin Nino Haratischwili (Stichwort „Westsplaining“), der estnische Journalist Margus Paaliste und viele, viele andere UkrainerInnen … Sie wollen, was Serhij Zhadan mit seiner Rock-Band rappt: „Nie wieder wird die Ukraine Sklavin russischer Henker sein. Never – ever.“ (Zhadan ist im Frühjahr 2024 freiwillig Soldat geworden).

Frieden ohne Freiheit ist kein Frieden! Freiheit, dieser zentrale Kampfgrund der Ukraine, wird von Herrn Hermann erstaunlicherweise aber nicht gesehen, als Kriegsziel sieht er abstrakt Demokratie und Territorium-Erhalt. Die Ukraine jedoch kämpft einen Befreiungskampf.

Barbara Hartz

Der Krieg ist festgefahren, Russland militärisch und wirtschaftlich stärker als wir geglaubt oder gehofft haben. Deswegen ist es jetzt an der Zeit, über Frieden zu reden, nicht abstrakt, sondern mit einem konkreten Friedensvorschlag: Russland kann die besetzten Gebiete im Wesentlichen behalten, dafür muss es die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine akzeptieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass Putin nicht nach wenigen Jahren erneut angreift. Eine solche Verhandlungslösung hat den sehr bitteren Beigeschmack, dass der Aggressor belohnt wird. Auf der anderen Seite ist eine endlose Fortführung des Krieges mit weiteren Gebietsverlusten der Ukraine eindeutig die schlechtere Lösung. Ein solcher Friedensvorschlag wird Putin nicht gefallen, aber vielleicht seinem wichtigsten Unterstützer, der VR-China. Es ist Zeit, dass die deutsche Außenpolitik solche konkreten Friedensvorschläge macht. Roger Peltzer, Kerpen

Und taz.de schreibt …

Ich versuche es auch mal mit gewichtigen Worten, so richtig scholzig: Es ist an der Zeit, die Bemühungen zu verstärken, einen Weg zu finden, die Schwerkraft aufzuheben. Bussard auf taz.de

Herrmann unterschlägt komplett, dass Russland schon längst Raketen auf uns gerichtet hat. Sollen wir das komplett ignorieren? Durch amerikanische Raketen wird zumindest ein Gleichgewicht wieder hergestellt, das Putin eher dazu bringen wird mit Diplomatie statt militärischer Gewalt zu agieren. Pawelko auf taz.de

Mit Putin verhandeln? Dafür gibt es sogar einen passenden Ort: den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Der Weg zum Frieden führt über Den Haag!

Victor Vetterle auf taz.de

Lieber Herr Herrmann, die Ukraine gibt es noch! Das ist ein Erfolg militärischer Mittel, den weiteres Appeasement genau nicht gebracht hätte! Normalo auf taz.de

@Normalo Es ist zynisch, angesichts der Zerstörungen in der Ukraine von einem „Erfolg“ zu sprechen. Die Ukraine wird jetzt eben langsam zerstört. Ein Erfolg ist das nur, wenn man russische Verluste als einzigen Maßstab anlegt. Was Hermann in diesem Interview fordert, ist nicht einmal spezifisch pazifistisch, sondern eigentlich pure Realpolitik – die Suche nach politischen Lösungen bevor die Situation militärisch eskaliert. O.F. auf taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen