: Männer im Buddelkasten
Auf dem Spielplatz ist es doch am schönsten. Warum nicht einfach die lästige Lebensphase zwischen Kindheit und Alter überspringen? Ein paar Sandkastengedanken
Ich befinde mich in einer undankbaren Lebensphase. Zu alt für den Kindergarten und zu jung für den Seniorentanz, fühle ich mich nirgends richtig heimisch. Deshalb hänge ich so gerne auf dem Spielplatz vor meinem Haus mit meiner Clique rum. Sie sind alle so um die 4 bis 7 Jahre alt, und ich fühle mich von ihnen eher respektiert als von den Erwachsenen, die dazu neigen, mich zu unterschätzen.
Seit ich festgestellt habe, dass es viel interessanter ist, den kleinen Menschen zuzusehen als den großen, bin ich Stammgast am Klettergerüst. Faszinierend, wie ungekünstelt sich die Kinder benehmen. Und es sind so sensible Seelen. Fragt man einen der Jungs: „Na, ist das Mädchen da deine Freundin?“, fängt er an zu heulen, weil man einen wunden Punkt getroffen hat. Da wird nicht lange herumlaviert, keiner schämt sich seiner Emotionen.
Ab und zu wird auf dem Spielplatz auch eine Oma im Rollstuhl vorbeigeschoben. Anfang und Ende unseres Lebenswegs, so dicht beieinander, man fragt sich unweigerlich, warum man den Zwischenteil nicht einfach überspringt. Weil ich in meiner Clique der Größte bin, bin ich eindeutig der Chef. Kinder, die uns nerven, hänge ich einfach ans Klettergerüst. Wenn sie loslassen, fallen sie runter, deshalb lassen sie nicht los. Nur die Mütter gucken mich schief an, weil ich wegen meiner Größe schon etwas auffalle. Alleinstehende Männer gehören nicht auf Kinderspielplätze. Um mich vor jedem Verdacht, ein Kinderschänder zu sein, zu schützen, schnauze ich manchmal eines der Kinder an, damit die Mütter nicht denken, ich sei alleine hier. Ich rufe quer über den Platz: „Zweni, jeh von die Tante runter!“
Wenn ich auf diese Art meine Vaterschaft nachgewiesen habe, kann ich wieder eine Weile ungestört zugucken. Aber manchmal tricksen mich die Mütter auch aus. Sie rufen sich ein Losungswort zu, blitzschnell greift sich jede ihr Kind, und ich bin der Einzige, für den keins übrig ist. Wenn sie mich so entlarvt haben, kommen sie auf mich zugerannt, um mir die Augen auszukratzen. Aber ich bin ja nicht dumm, ich mache es wie Gojko Mitić in „Die Spur des Falken“ und grabe mich im Sand vom Buddelkasten ein, bis die Luft wieder rein ist.
Da unten im Sand trifft man die komischsten Typen, alles Männer, die sich vor irgendwem verstecken. Kurti hat Angst vor seiner Frau, weil er vergessen hat, Mayonnaise einzukaufen, Igor ist illegal eingewandert und wohnt inzwischen hier, und Herbert hat die Gelegenheit am Schopf gepackt, sich selbständig zu machen, und betreibt einen kleinen Bauchladen für uns. Natürlich ist es nicht unbedingt angenehm, so eingegraben zu sein, vor allem im Winter. Ich kann mir vorstellen, dass mir das irgendwann zu viel wird, weil ich bequemer werde. Dann wird mir nichts anderes übrig bleiben, als auch so ein Kind zu bekommen, damit ich weiter auf dem Spielplatz mit meiner Clique abhängen kann. Aber mein Kind dürfte natürlich nie erwachsen werden und all die schlechten Eigenschaften annehmen, die Erwachsene auszeichnen.
Ich würde dafür sorgen, dass es nie in die Pubertät kommt, die alles Anmutige am kindlichen Wesen zerstört und aus den kleinen Engeln widerspenstige, argwöhnische und gequälte Wesen macht. Ich würde ihm jeden Kontakt mit älteren Kindern verbieten, die ihm schmutzige Witze beibringen wollen. Ich würde ihm nie eine Frage beantworten, damit es nicht zu schnell mitbekommt, wie schlecht die Welt ist. Und ich würde es nachts in den Kühlschrank legen, damit es nicht wächst. Und wenn es dann doch einmal so weit ist, dass es alt und gebrechlich wird und im Rollstuhl über den Spielplatz geschoben werden muss, hat es die lästige Phase zwischen Kindheit und Altersdemenz einfach übersprungen. JOCHEN SCHMIDT