„Darüber darf ich nicht sprechen …“

Der große Schauspieler Christopher Lee im Wahrheit-Interview über Gesang, Filme, Ringe und Spione

taz: Als Erstes, Sir Christopher: Ihr Deutsch ist ausgezeichnet.

Christopher Lee: Mein Deutsch ist nicht so gut. Viele denken, ich würde sehr gut Deutsch sprechen, aber das ist nicht wahr. Ich habe Deutsch nie gelernt oder studiert, ich habe auf Deutsch nur gesungen und gedreht. Ich singe noch immer, jeden Tag. Auf Deutsch, auf Russisch, auf Italienisch, auf Französisch. Ich trainiere meine Stimme. Ich habe schon einige Platten gemacht und gerade erst wieder eine.

Was ist das für eine Platte?

Ich singe. Mit einer Heavy Metal Band, die Rhapsody heißt. Ich glaube, sie ist sehr bekannt.

Warum sind Sie eigentlich nicht Opernsänger geworden, wie sie es einmal vorhatten?

Ich fing als Schauspieler an, versuchte zu lernen, ein Schauspieler zu sein. Ich brauchte dazu ungefähr zehn Jahre. Heutzutage sind die Stars ja Stars nach einem einzigen Film. Als ich anfing, musste man noch lernen. Ich musste alles lernen: Theater, Radio, Fernsehen und natürlich Film. Es dauerte fast zehn Jahre, bis ich eine wirklich gute Rolle bekam. Weil ich natürlich die nötige Erfahrung noch nicht hatte, die musste ich mir erst aneignen. Ich reiste durch ganz Europa. Ich sang, ich drehte, ich machte Theater mit Amateuren und Profis.

Und wie kamen Sie zur Oper?

1949 oder 1950 arbeitete ich in Stockholm. Ich war auf einer Party und sang dort Lieder. Da kam ein Mann zu mir, er nahm mich beiseite und fragte: „Was wollen Sie mit Ihrem Leben anstellen?“ Ich antwortete: „Ich will lernen, ein Schauspieler zu sein.“ Er sagte: „Nein, das ist falsch. Sie haben eine Stimme. Die wurde Ihnen bei ihrer Geburt gegeben. Sie sollten diese Stimme nutzen. Kommen Sie morgen früh um elf Uhr zum Opernhaus. Stellen Sie sich auf die Bühne und singen Sie.“ Also ging ich am nächsten Morgen hin und sang irgendetwas. Ich war schrecklich nervös. Dennoch redete man anschließend mit mir: „Wir holen Sie zur schwedischen Oper, und wir werden Sie ausbilden. Eines Tages werden Sie ein Opernsänger sein.“ Der Mann, der das zu mir sagte damals, war der Nummer-eins-Tenor der Welt Jussi Bjoerling.

Wie wurden Sie dann Schauspieler?

Unglücklicherweise hatte ich nicht das Geld, um in Stockholm leben zu können. Es war alles sehr teuer dort, also ist aus der Sache nichts geworden. Ich habe zwar in Filmen gesungen, und ich habe Platten aufgenommen. Aber ich bin als Schauspieler bekannt geworden. Obwohl man mir früher sagte, ich sei zu groß, um ein Schauspieler zu sein. Weil ich größer war als die britischen Stars. Die wollten mich nicht neben sich haben. Ich bedaure sehr, dass ich kein Opernsänger wurde, denn das war etwas, das mir gegeben war. Natürlich hätte ich es lernen und trainieren müssen, aber dasselbe ist es mit Schauspielen, man muss es lernen. Aber heutzutage tun das die jungen Leute nicht mehr.

Tun die jungen Schauspieler das wirklich nicht mehr?

Sehr wenige.

Wer zum Beispiel?

Ich finde, einer der besten jungen Schauspieler ist Leonardo DiCaprio, der wird immer besser. Aber die Nummer eins ist für mich Johnny Depp.

Warum ist gerade Johnny Depp für Sie die Nummer eins?

Weil er lernt. Aber die anderen Jungen, was können die wissen in diesem Alter? Sie wissen gar nichts. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte vom Filmfestival in Venedig. Lauren Bacall war dort. Und Nicole Kidman. Die beiden haben einen Film zusammen gemacht. Sie sind gut befreundet und gaben eine gemeinsame Pressekonferenz. Und einer der Journalisten fragte Lauren Bacall: „Wie ist es, Mrs. Bacall, mit einer anderen Legende zu arbeiten?“ Lauren Bacall sagte: „Legende? Sie ist noch Anfängerin.“ Sie war nicht unhöflich, aber sie war ehrlich, sie hatte Recht. Um eine Legende zu sein, muss man 70 oder 80 Jahre alt sein oder tot.

Was war Ihre liebste Rolle, die Sie je gespielt haben?

Der wichtigste Film, den ich je gemacht habe, 1997 in Pakistan, war „Jinnah“. Das ist der Name des Mannes, der 1947 Pakistan gegründet hat. Den habe ich gespielt. Das war die wichtigste Rolle. Aber der beste Film, in dem ich mitspielte, war „The Wicker Man“. Das ist weltweit eine Art Kultfilm. Das ist der beste, den ich je gemacht habe, ein wundervoller Film. Und der erfolgreichste war selbstverständlich „Der Herr der Ringe“. Und „Star Wars – Episode II“.

Sind Sie verärgert, dass Sie als „Saruman“ aus dem letzten Teil des „Herrn der Ringe“ herausgeschnitten wurden?

Ich war nicht verärgert. Ich habe es nur nicht verstanden. Und ich war geschockt. Ich konnte nicht verstehen, warum sie das gemacht haben. Die Leute wollen doch wissen, was mit Saruman passiert. Er war schließlich in den beiden anderen Teilen der Anführer der Gangster. Und plötzlich taucht er im dritten Teil einfach nicht mehr auf.

Wurde Ihnen denn erklärt, warum Sie schließlich herausgeschnitten wurden?

Ich bekam ungefähr 200 Erklärungen, aber ich habe keine einzige verstanden. Ich wurde auch nicht rausgeschnitten, sie haben die Szene nicht genommen. Das ist nicht ganz das Gleiche. Denn sie haben die Szene ja behalten und in der DVD ist sie zu sehen.

Sie haben ein ziemlich bewegtes Leben geführt. Wie war das eigentlich damals mit Ihrer Arbeit für den Geheimdienst?

Darüber darf ich nicht sprechen. Ich war während des Zweiten Weltkriegs als Beobachter eingesetzt, in einem Sondereinsatzkommando. Wir sollten diese Leute finden, die Leute, die diese schrecklichen Dinge getan haben. Wir fanden auch ein paar, aber nicht genug. Wie auch immer – während des Krieges war ich in einer Spezialeinheit. Das war nicht der Geheimdienst, ich war kein Spion.

Sie waren also kein Spion?

Ach kommen Sie! Können Sie sich mich, bei meiner Größe, als einen erfolgreichen Spion vorstellen? Niemand würde mich bemerken? Niemand würde sich an mich erinnern? Das ist doch lächerlich. Wenn ich ein Spion gewesen wäre, dann hätten sie mich doch innerhalb von fünf Minuten gefangen.

Kommen wir zu einer anderen Legende: Der Ring, den Sie an Sie an ihrem Finger tragen, ist das der Bela-Lugosi-Ring?

Waaas???

Es gibt das Gerücht, dass Bela Lugosi, Ihr Vorgänger als Dracula-Darsteller, seinen Ring an Sie weitergegeben habe …

Ich habe Bela Lugosi nie kennen gelernt. Ich habe ihn nie gekannt. Ich trug aber mal eine Kopie seines Ringes. Dies hier ist mein Wappenring. Mein Familienring: Heiliges Römisches Reich. Karl der Große. Doppeladler. Mein Familienring. Ich habe Bela Lugosi nie getroffen. Aber ich kannte Boris Karloff sehr gut, und ich habe drei Filme mit ihm gemacht. Wir wohnten Tür an Tür.

Ich kenne diese Geschichte, dass Sie manchmal morgens im Park gemeinsam spazieren gingen und manche Menschen ein wenig verschreckt waren, weil sie gleichzeitig Frankenstein und Dracula begegneten. Aber über Dracula sprechen Sie wohl nicht gern?

Nicht wirklich. Das ist so lange her. In einem der Filme habe ich mich geweigert, auch nur ein einziges Wort zu sagen.

Warum?

Ich las das Drehbuch und sagte: „Ich werde kein einziges Wort davon sprechen“ – „Prince of Darkness“ hieß der Film.

Aber war die Arbeit zu diesen Filmen nicht auch lustig?

Ach ja, wir hatten Spaß. Warum auch nicht. Besonders in letzter Zeit drehte ich öfters Filme, wo bei den Dreharbeiten sehr viel gelacht und gescherzt wird. Vor allem bei Filmen mit Tim Burton.

Burton ist ja auch ein großartiger Regisseur …

Ja, wirklich, ganz wundervoll. Und mit Johnny Depp. Wir lachen sehr, sehr viel miteinander. Aber über die Dracula-Filme rede ich nicht gern, weil es ein anderes Genre ist, und es ist wirklich sehr lange her. Bitte nennen Sie mich nur „Christopher Lee, der Schauspieler“. Mehr nicht. Schreiben Sie nicht: „Dracula war in Berlin.“ Manche Leute machen so was, weil es so einfach ist, damit eine gute Schlagzeile zu bekommen.

Sie werden 83 Jahre alt. Wie gehen sie mit dem Alter um?

Man hat zwar viel gelernt, gesehen und gemacht, aber die Kondition lässt nach. Das ist das Problem. Manche Dinge kann ich nicht mehr. Ich kann nicht mehr rennen. Wenn mich jemand fragt, ob ich für einen guten Film noch rennen könnte, dann könnte ich diesen Film nicht machen. Dabei war ich früher immer so schnell! INTERVIEW: CORINNA STEGEMANN