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Die Kunst sucht das Schloss Wolfsburg heim

Vielfältige Materialien und unterschiedlichste Techniken: Mit vier Vernissagen in einer Sommernacht zeigen die Kunstinstitutionen auf Schloss Wolfsburg, dass familiäre Nähe kein Fluch sein muss

Von Bettina Maria Brosowsky

Sechs Kulturinstitutionen sind im Schloss Wolfsburg untergebracht. Und das fühle sich mittlerweile an, wie eine Familie, sagt Frank Hocke, der Vorstandsvorsitzende des Vereins Junge Kunst. Der, bis dahin eher isoliert in der City, hat sich vor rund einem Jahr zu Städtische Galerie, Kunstverein, Institut Heidersberger und Stadtmuseum hinzugesellt, die schon seit geraumer Zeit im Renaissancebau residieren. Der Austausch untereinander spiegelt sich nun auch in der gemeinsamen Eröffnung von insgesamt vier Ausstellungen in ein und derselben Sommernacht – am heutigen Freitag.

Nora Lube ist die Künstlerin, die aktuell im Junge-Kunst-Verein ausstellt. „blank spaces in embodied tales“, so der Titel ihrer ersten institutionellen Einzelschau. Lube hat 2023 an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig ihr Diplom in der Bildhauerklasse von Thomas Rentmeister abgelegt. Vorher hatte die 1989 Geborene eine Lehre als Schneiderin absolviert und Modedesign in Berlin studiert. Textiles ist unübersehbar auch in ihrer Kunst ein bevorzugtes Material. Aus breiten, stabilen Transportgurten, wie sie bei der Verfrachtung militärischer Ausrüstung verwendet werden, hat sie ein räumliches Netz genäht.

In einen ohnehin schon engen Flur gehängt, schafft es nun eine weitere Einschränkung. Beim Herummanövrieren wird der Blick auf das übergroße Foto eines weißen Mantels aus künstlichem Hermelin gelenkt, den merkwürdige braune Flecken zieren. Dies seien Fotografien einer toten Motte, erzählt Lube, die sie als digitale Montagen auf das Fell platziert habe. Pelz oder Textil belässt sie nicht in ihrem ursprünglichen Verwendungszusammenhang, und schon gar nicht unversehrt. Ihr geht es um die Dekonstruktion auch von kriegs- und herrschaftsbezogenen Attributen und die ungewöhnliche Kombination von Materialien. Weitere Objekte bringen nochmals Spanngurte, eine organisch zugeschnittene Glasplatte auf Schlittschuhkufen sowie technische Utensilien wie eine verrostete Umlenk-Rolle und einen schweren Kranhaken zusammen. Diese beiden hat Lube täuschend echt aus Keramik geformt, was sie ihrer Funktionalität noch weiter entrückt.

Sommernacht am 23. 8. ab 18 Uhr, Soundperformance ab 19 Uhr

Junge Kunst Nora Lube, „blank spaces in embodied tales“, bis 22. 11.

Kunstverein Franziska Nast, „how much of you is repetition?“, und Jakob Zimmermann, „marching to the beat of desire“, bis 3. 11.

Städtische Galerie Wolfsburg Wasser, bis 6. 10.

Auch bei Franziska Nast gehört Keramik zu den vielfältigen Materialien, mit denen sie in einer Vielzahl künstlerischer Techniken arbeitet. Sie bestreitet die große, 24-teilige Ausstellung im Kunstverein, wiederum englisch betitelt: „how much of you is repetition?“, also sinngemäß: Aus wie viel Wiederholung bestehst du?

Dabei wird sofort klar: Die Hamburgerin Nast schätzt die Wiederholung als ein Arbeiten mit Vertrautem und Gefundenem. Zwischen 2005 und 2011 hat auch Nast in Braunschweig studiert, nebenbei in Hamburg mit ihrem Partner Axel Loytved den Kunstverein St. Pauli gegründet. Sie ist aber auch Mutter, Buchgestalterin, Tätowiererin und hat schon vor dem Studium ihr Modelabel „Fack Fushion“ gegründet. Eine kleine Kollektion veredelter Secondhand-Teile kann in Wolfsburg erstanden werden.

Per Hochdruckreiniger hat Franziska Nast Texte auf die Platten im Hof geschrieben

Als ihr eigenes Modell inszeniert sich Nast im Dreikanal-Videoloop „Rücken“ von 2022. Die Coronazeit, sagt Nast, war eine Strapaze, die Familie ständig zu Hause, die eigene Arbeit kaum zu organisieren. Ihre vermeintlichen Lockerungsübungen vor laufender Kamera werden von einem mysteriösen Knacken begleitet: die müden Knochen, oder eine Last, die von den Schultern fällt?

Musik und Singen spielen in ihrer Kunst auch eine wichtige Rolle. Ein kurzer Song erklingt sporadisch in der Ausstellung, am Eröffnungsabend gibt’s sogar eine Live-Performance zusammen mit Knarf Rellöm. Und dann wäre da noch der Hochdruckreiniger: Franziska Nast hat damit vergängliche Textbotschaften auf die Sandsteinplatten im Schlosshof geschrieben.Viele Ideen schrecken auch Jakob Zimmermann nicht. Der, unüberhörbar aus Süddeutschland, ist ebenfalls Absolvent der Braunschweiger HBK. Im „Raum für Freunde“ des Kunstvereins hat er ein buntes Panorama zusammengestellt. Farbig wie die Paradiesdarstellungen aus den Schriften der Zeugen Jehovas ist es laut Zimmermann die visuelle Ausbeute seiner letztjährigen USA-Reise. Die brachte ihn auch nach New Ulm, zu einer Kopie des Detmolder Hermannsdenkmals – in halber Größe. Was ihn über weitere Verkleinerungsformen wie Minigolf hat nachdenken lassen.

Die Städtische Galerie setzt einen Kontrapunkt zu den drei Ausstellungen von Einzelkünstler*innen: Sie hat aus ihrer großen Sammlung Malerei, Grafik, Fotografie und Objektkunst zusammengestellt, die sich mit Wasser befassen. Klassisch wird es in seinen Auftrittsformen dargestellt, werden die Wesen, die in ihm leben, untersucht – mit fast meditativer Ruhe, wie es sich für ein gesetzteres Familienmitglied gehört: Sie residiert schließlich sei 50 Jahren auf sechs Etagen des Schlosses.

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