: In Missionen zur Befreiung von Geiseln
US-Krisendiplomat Mickey Bergman gibt Einblick in fast 20 Jahre weltweite Grenzfall-Diplomatie
Von Klaus Scherer
Russlands Überfall auf die Ukraine liegt erst ein paar Monate zurück, als in der armenischen Hauptstadt Jerewan der US-Krisendiplomat Mickey Bergman einen Mittelsmann des Kreml trifft. Bergmans Mission: Er will den Preis ausloten, den Moskau für offenbar als Faustpfand festgehaltene US-Bürger verlangt.
Formal reist Bergman allein im Auftrag der Angehörigen, etwa des Wall-Street-Journal-Korrespondenten Evan Gershkovich, der wegen angeblicher Spionage inhaftiert ist, oder der Basketballerin Brittney Griner, die sich wegen eines Drogenvorwurfs zu neun Jahren Straflager verurteilt sah. Natürlich weiß auch die US-Regierung von Bergmans Einsatz. Meist lotet er zeitgleich auch bei ihr aus, wozu sie maximal bereit wäre. Nervenschonend ist das nie.
Zum Zeitpunkt des Jerewaner Treffens ohnehin nicht. Gerade hat US-Präsident Joe Biden Wladimir Putin einen Kriegsverbrecher genannt. Mit dem kann er nun schlecht auf Augenhöhe Deals abschließen, und seien sie aus Sicht der Familien noch so dringlich.
Für einen „Swap“, einen Tausch also, boten Bergmans Kontakte im Weißen Haus unter der Hand allenfalls einen inhaftierten russischen Straftäter an, gegen zwei US-Bürger. Zwei gegen eins. Nach Bergmans Erfahrung bräche das eine eiserne Regel seiner Schattenwelt: das Gebot der Symmetrie.
Den Wortlaut des Treffens, das Bergman in seinem brillant-authentischen Rückblick auf fast 20 Jahre weltweite Grenzfall-Diplomatie („fringe diplomacy“) unter dem Titel „In the Shadows“ erstaunlich detailliert wiedergibt, dürfte man auch in Berlin aufmerksam lesen. Denn auf der Liste des Kreml-Emissärs stand noch kurz zuvor ein Name, der nun fehlt. „Was ist mit Krasikow?“, fragt Bergman vorsichtshalber nach, „den wolltet ihr doch unbedingt freibekommen.“
Viktor Krasikow, Deutschen besser bekannt als „Tiergartenmörder“, wurde als Auftragskiller des Kreml zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er im taghellen Berlin einen Georgier hingerichtet hatte. Die Antwort von Bergmans Gegenüber kommt erst nach einem beherzten Lachen. „Das war doch nur ein ‚fuck you‘ für Joe Biden, weil er tatsächlich glaubte, er könne zwei Amerikaner gegen nur einen Russen tauschen.“ Putins angebliches Begehren, das in Berlin alle Alarmsirenen heulen ließ, wäre demnach nur ein bewusster Affront gewesen.
Wer mit Bergman spricht, erfährt noch von weiteren Regeln, die er befolgt. „Deals werden nie besser, je mehr Zeit vergeht“, sagt der gebürtige Israeli, der auch für die erste Übergabe von Gaza-Geiseln aktiv war. „Und: Die Wartezeit birgt immer auch das Risiko von Krankheiten, Gewalttaten, Selbstmorden. All das habe ich erfahren müssen.“
Mickey Bergman: „In the Shadows. True Stories of High-Stakes Negotiations to Free Americans Captured Abroad“. Center Street, New York 2024, 320 Seiten, 29,45 Euro
Der Rezensent lernte Bergman bei einem Doku-Dreh kennen, als einer dieser hochtragischen Fälle mit der Rückführung des nahezu hirntoten US-Studenten Otto Warmbier aus Nordkorea endete. Monatelang hatte Bergman, da noch mit seinem Mentor, dem früheren UN-Botschafter Bill Richardson, eine humanitäre Reise nach Pjöngjang durch alle Boykotte geboxt, von der er zurückkam, ohne Warmbier auch nur gesehen zu haben.
„Um einen Baum zu fällen, braucht es tausend Hiebe“, gab ihm ein nordkoreanischer Offizieller vieldeutig mit auf den Weg. Dabei war Warmbier wohl schon damals todkrank. Wegen falscher Medikation nach schlechtem Essen, sagten später örtliche Ärzte. Wegen Folter, mutmaßte Ottos erschütterte Familie, bevor sie ihn in Cincinnati zu Grabe trug. Dennoch glaubt Bergman seinen Vertrauten im Umfeld von Nordkoreas UN-Vertretung („The New York channel“) bis heute, dass auch sie von Warmbiers Zustand nichts wussten.
Das entspräche seiner dritten Grundregel. „Um eine langfristige Beziehung aufzubauen, darf keiner lügen“, sagt er. „Wir setzen dafür allein humanitäre Ziele, auch wenn uns sonst mit der Gegenseite nichts verbindet.“ Dass seine Rückblicke nicht nur Erfolge auflisten, sondern ebenso viele Momente des Scheiterns, macht sie umso glaubwürdiger.
Einmal hätten für einen Deal nur noch der russische und der amerikanische Nationale Sicherheitsberater kurz miteinander telefonieren müssen. Später behaupteten beide, der jeweils andere habe nie angerufen. „Das war so frustrierend, denn es ging um Menschenleben“, bilanziert Bergman. „Wir lernen immer dazu. Auch in Gaza.“
Der Autor ist NDR-Reporter und ehem. USA-Korrespondent; er schilderte 2020 den Fall Warmbier in einer ARD-Doku
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