: Sie tanzen doch
„Warum tanzt ihr nicht?“ fragt das Kunst-Kollektiv „She She Pop“ bei den 7. Oldenburger Ballett Tagen. Und widerlegt sich selbst aufs Schönste
Es ist ein Gerenne im Theater. Und ein Getanze. Walzer, Rumba, Disco Fox. Beim Mambo fallen alle Hemmungen. Eine rauschende Ballnacht, die Summe aller Ballnächte. „Die Zeit läuft uns davon, wir sind keine Debütantinnen mehr“, sagt eine Frau im blauen Kleid ins Mikrophon. Heute Nacht soll etwas geschehen. Dafür sorgt das Hamburg-Berliner Performance-Kollektiv „She She Pop“. Und die Frage „Warum tanzt ihr nicht?“ haben die Oldenburger Zuschauer schnell beantwortet: Tun wir doch. Sie tanzen. Und wie.
Und sie rennen. Denn an diesem Abend muss man sich bewegen, hin und her, zwischen der Bühne des Kleinen Hauses und dem Foyer. Das ist interaktives Theater, das Festival-Leiter Martin Stiefermann neben Modern Dance und klassischem Ballett so gerne im Programm hat. Also rennt auch er, während drinnen die Stimmung steigt, sich eine Brust entblößt und stramme Beine unter Taft und Rüschen stampfen. Schnell, schnell, ja nichts verpassen.
Angenehmes Party-Prickeln. Und eine geniale Idee: Eine Kamera liefert Herzschmerz direkt von back stage auf Leinwand und Fernseher. Die Performance macht das Publikum zum Voyeur. Eine Wildentschlossene stammelt in die Kamera, dass sie Fakten schaffen will. Ein Mann mit Wimpern wie Schmetterlinge sucht den Mann fürs Leben. Doch auch dieser Ball bringt weder Märchenprinz noch Helden.
Eine der She She‘s hat sich in eine portugiesische Schönheit im roten T-Shirt verguckt, schwenkt aber auf einen jungen Mann um, als sich die Angebetete nicht meldet. Die Akteurinnen wissen scheinbar nicht, wohin mit ihrer Libido, in Wahrheit zeigen sie nur, was in uns allen steckt. „Es gibt bestimmt einige, die das Gefühl nicht loswerden, auf der falschen Veranstaltung zu sein, im falschen Körper, im falschen Geschlecht, im falschen Land zur falschen Zeit“, sagt der Langbewimperte.
Die Ballnacht nimmt ihren Lauf. Je melancholischer die SchauspielerInnen, desto exaltierter die Stimmung. Die Frau im blauen Kleid ertränkt ihren Kummer in Alkohol. Als der Langersehnte sie zum Tanz auffordert, sind ihre Füße schwer wie Beton. „Ich bring‘s nicht. Ich bring‘s einfach nicht“, greint sie in die Kamera. Dann singt sie mit tiefer Stimme Christina Aguileras „I am beautiful“ und rechnet öffentlich mit dem Vater ab. Er reagiert souverän und erlöst das Kind im Walzerschritt.
Wann hat man zuletzt eine so traurige und doch würdevolle Nackte gesehen? Quer über die füllige Körperblässe die Schärpe der Ballkönigin, lächelt sie ein trauriges Clowns-Lächeln. Das Licht geht aus. Niemand sieht den letzten Tanz zum Song von Tracy Chapman. Aber alle machen mit. Barbara Wündisch