Kommentar von Bernward Janzing zur Suche nach einem Endlager für Atommüll bis 2074: Vertane Zeit
Es klingt nach einer unendlichen Geschichte: Das Auswahlverfahren für ein Endlager hochradioaktiven Atommülls wird „frühestens im Jahr 2074“ abgeschlossen sein. Das haben jetzt Gutachter im Auftrag des Bundes festgestellt. Sie haben den Auswahlprozess analysiert und abgeschätzt, welche Schritte sich aus welchen Gründen verzögern könnten. Bestenfalls in 50 Jahren ab heute könne demnach ein Standort benannt werden. Bis zur Einlagerung dürften abermals zwei Jahrzehnte vergehen.
Nun ändert zwar ein Rückblick auf Versäumnisse der Vergangenheit nichts, aber er gehört zur Geschichte dazu. Im Februar 1977 hatte Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) – ohne angemessene Expertise einzuholen – Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum benannt. Trotz erkennbarer Untauglichkeit der Region im Wendland aus geologischen Gründen hielten alle Bundesregierungen über Jahrzehnte an diesem Standort fest. So ging viel Zeit ins Land, die man gut für ein seriöses Verfahren hätte gebrauchen können.
Erst 2013, nach dem Beschluss zum Atomausstieg von 2011, folgte ein Neustart der Standortsuche – zurück auf null also. Seither wird „ergebnisoffen“ geprüft, es ist von einem „transparenten, wissenschaftsbasierten Neustart unter Beteiligung der Zivilgesellschaft“ die Rede. Dass ein solches Verfahren Zeit braucht, zeigt auch die Schweiz, die bereits 1972 die Endlagerorganisation Nagra gründete und sich nach gut 50 Jahren Standortsuche so langsam dem Ziel nähert.
Ähnlich weit könnte Deutschland heute auch sein. Aber dem nachzuweinen hilft natürlich nicht, der Blick muss jetzt nach vorne gerichtet sein. Das Umweltministerium lässt wissen, es habe Konzepte, um das Verfahren zu beschleunigen. Das ist schön, doch wie sehr sich der Prozess wirklich beschleunigen lässt, ohne die hohen Sicherheitsansprüche aufzugeben, ist fraglich. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Verfahren nämlich solide konzipiert – das Standortauswahlgesetz ist ein respektabler Ausflug in die Geologie und dürfte geeignet sein, den besten (oder: am wenigsten schlechten) Standort zu ermitteln.
Aber dann sind da eben die regionalen Befindlichkeiten: Wie werden jene Akteure, die heute noch (oder wieder) die Atomkraft propagieren, auftreten, wenn ihre eigene Region im Auswahlverfahren vorne liegt? Aus fachlicher Sicht versucht die Bundespolitik, sich nach dem Gorleben-Fiasko ehrlich zu machen. Ob auch die Befürworter der Atomkraft konsequent bleiben, wenn ihre Region zum Standort auserkoren wird? Man darf gespannt sein.
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