berliner szenen
: Nur Geld war noch nie dabei

Am Sonntag habe ich mit meiner Freundin M. auf dem Flohmarkt Klamotten verkauft. Die Stimmung war ausgelassen, bis eine Frau rief: „Ich habe ein Kind gefunden!“ Verdutzt drehten sich sämtliche Köpfe zu der Frau, die eine bunt verglaste Pilotenbrille trug – und in ihren Armen ein etwa zweijähriges Kind. Es schrie nicht, schaute aber verwirrt die Frau an, von der es gerade getragen wurde.

„Oh je“, sagte ich zu M., „das muss ja für die Eltern der absolute Horror sein.“ Ich musste an einen Flohmarkt vor ein paar Jahren am Boxi denken, als ich mit meiner anderen Freundin M. auch Klamotten verkaufte, als M. panisch rief, dass L., ihr Kind, nicht mehr da sei. Da war L. auch noch ganz klein – und vor allem: Sie stand eine Sekunde vorher noch neben uns. Der Schrecken, den M. in diesem Moment in den Augen hatte, war gigantisch. Noch nie hatte ich sie so erlebt. Und ich glaube, noch nie hatte ich überhaupt eine Person, die mir nahe stand, so erlebt. Zum Glück konnten wir L. damals schnell finden, sie war einfach zum nächsten Spielplatz gelaufen und wartete dort auf ihre Mutter. Ob es der Mutter von diesem Kind auch so ging?, fragte ich mich.

Eine halbe Stunde später stand plötzlich die Frau, die das Kind gefunden hatte, an unserem Stand. Ich fragte, ob sie die Eltern ausfindig machen konnte. Sie nickte und erzählte, dass es nicht das erste Kind sei, das sie gefunden habe. An der Ostsee habe sie mal ein heulenden Kind in den Arm genommen, ihm ein Eis gekauft und sich dann auf die Suche nach den Eltern gemacht. Sogar ein Pferd habe sie in Kreuzberg gefunden, es mit in den Görli genommen und dort die Polizei gerufen. „Die Bullen dachten bestimmt, ich sei auf Drogen“, sagte die Frau und lachte. „Kinder, Tiere, war alles schon dabei, nur Geld, das hab ich leider noch nie gefunden.“ Eva Müller-Foell