Neuerfindung in Ägypten

THEATER Alize Zandwijk inszeniert „Joseph und seine Brüder“ am Deutschen Theater

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Am Anfang waren Adam und Eva. So beginnt, nein, nicht die Bibel, sondern die Geschichte, die der Schauspieler Peter Moltzen in „Joseph und seine Brüder“ auf der Bühne des Deutschen Theaters als Erstes erzählt. Am Anfang sind die Kunstpausen noch groß zwischen den einzelnen Worten, bald aber überstürzen sich die Sätze und die Namen der Nachfahren. Es wird voll neben dem Erzähler auf der Bühne. Am Ende der Genealogie ist aus Peter Moltzen Reuben, der Sohn des Jaakob, geworden, die anderen sind seine Brüder. Reuben wird vom Vater zu Unrecht nicht geliebt, Joseph ist das Papakind, überheblich macht ihn das in den Augen der Brüder. Und damit beginnt das Drama um das Hungern nach der väterlichen Liebe, um wahrsagende Träume und die Aussetzung des halb schon totgeschlagenen Joseph in einem Brunnen.

Alize Zandwijk, Regisseurin und Theaterdirektorin aus Rotterdam, hat die Josephs-Geschichte nach dem Roman von Thomas Mann und in einer Dialogfassung von John von Düffel inszeniert. Ein Hauch vom Welt-Theater, wie es Ariane Mnouchkine vor vierzig Jahren erfunden hatte, um große Epen mit leichter Hand zu erzählen, liegt über den Bildern. Da gibt es die aufgespannten Seidentücher, erst weiß, dann blau, rot und schwarz, vor der die Schauspieler agieren, als wären sie bloß ein armer Wanderzirkus, ohne größere Mittel fürs Bühnenbild. Da gibt es die gruseligen Szenen als Theater der großen und kleinen Schatten, die sich wie Scherenschnittfiguren bewegen.

Da gibt es den beherzten Griff in die Kiste der Orientalismen, wenn sich die Geschichte nach Ägypten verlagert, und das Vergnügen an übertriebener Mimikry, wenn aus der Schauspielerin Natali Seelig, die eben noch den jüngsten Bruder Benjamin spielte, der böse Zwerg Dudu wird, mit aufgemaltem Schnäuzer und weggeklappten Unterschenkeln auf den Knien laufend. Dudu ist Josephs größter Gegner im Haus des Potiphar, eines hohen ägyptischen Beamten, sieht er durch die Beliebtheit des neuen, bald schon aufgestiegenen Sklaven seine Hausmacht bedroht.

All diese Mittel helfen, die Geschichte, im Roman über 1.300 Seiten stark, stringent zu erzählen. Aber sie reichen nicht aus, um mehr als die Fabel zu transportieren. Vom Erlebnis des Thomas-Mann-Lesens, vom Abtauchen in entlegene Zeit-Räume, von der Selbstbeobachtung des Erzählers beim Erzählens, von seinen Unterredungen mit dem Leser, seiner Verteidigung seiner Figuren, und schließlich vom Witz, der aus diesem offenen Ringen des Autors mit seinem Handwerk und seinen Zielen entsteht, weiß die Dialogfassung nichts. Sie setzt aber auch nichts eigenes an dessen Stelle.

Schöner, kluger Sklave

Dabei haben einige der Schauspieler durchaus das Potenzial, Thomas Manns besondere Balance zwischen ironischer Distanz und Nähe zu den Figuren ins Spiel selbst hineinzunehmen. Aber nur Jörg Pose, der in die Rollen von Jaakob, Josephs Vater und Urheber des Bruderzwistes, und von Potiphar, dem versnobten ägyptischen Hausherrn, einsteigt, darf dies auch ausleben. Er hat eine sehr eigene Diktion, etwas von müder Untertreibung, von Abwesenheit und Zerstreutheit, die der Identifikation, der Mühe, Leidenschaften aufzubringen, immer vorauszugehen scheint. Wenn er als Jaakob dem ältesten Sohn Reuben seinen Segen entzieht und Joseph beschenkt, durchziehen Halbherzigkeit und Schmerz jede Entscheidung, ein Vater, der nie überzeugt ist von sich selbst. Sein Potiphar skizziert mit ganz reduzierter Mimik und Gestik, als wolle man im Schema ägyptischer Bilderfriese bleiben, einen Mann, der vom Repräsentieren seiner selbst so erschöpft ist, dass er zu wenig mehr Kraft hat. Umso mehr zählt, wenn er Joseph, den ob seiner Klugheit und Schönheit geschätzten Sklaven, gegen dessen Gegner verteidigt.

Die Joseph-Figur dagegen erreicht solches Mithineinziehen in ihre inneren Kämpfe, selbst wenn sie ausgesprochen werden, nicht. Thorsten Hierse stellt einen netten und charmanten Joseph vor, etwas zu überzeugt von sich selbst und seiner intimen Nähe zu Gott in seinen Träumen. Das mag für den ersten Teil reichen, für seine Wiedergeburt nach der Fast-Ermordung, für seine Neuerfindung in Ägypten nicht. Er wird in seiner eigenen Geschichte zu einer etwas blassen Randfigur.

„Joseph und seine Brüder“ handelt von Vätern, Söhnen und einem Gott, vor dessen Augen sie ihren ethischen Maßstab entwickeln. Der Spielraum der Figuren ist vorgezeichnet zwischen den Mustern, die der Mythos, die Erzählungen über die vorausgegangenen Generationen vorgeben, und dem Versuch, dieser Zwangsläufigkeit und der Wiederholung von Fehlern zu entkommen. Warum man mit diesem Stück diese Option wieder zur Diskussion stellt, erschließt die Inszenierung nicht.

■ Wieder am 12. + 21. April, 5./10./16. + 20. Mai