: Gehrys Artenvielfalt
LEUCHTTURM Panama steht für Drogen, Bauboom und Geldwäsche. Nun entsteht pünktlich zur Hundertjahrfeier seines berühmten Kanals das Museo de la Biodiversidad
VON MICHAEL MAREK
Emblematischer könnte seine Lage nicht sein. Links die Skyline mit ihren gläsernen, hoch aufschießenden Bürotürmen und der kolonialen Altstadt. Rechts die Einfahrt zum berühmten Kanal. Hier, von der Avenida Amador, fällt der Blick auf die Geschichte Panamas am Schnittpunkt zweier Kontinente: auf seine Entdeckung und Entwicklung, auf seine Perspektiven für die Zukunft. Und genau hier entsteht auch der Ort, der Panamas einzigartige und bis heute nahezu unbekannte Bedeutung für die Evolution der Erde ins rechte Licht rücken soll.
Das „Museo de la Biodiversidad“, Frank Gehrys Museum für Artenvielfalt, ist das erste Projekt des kanadisch-amerikanischen Architekten in Lateinamerika. Die lang gestreckte Form des Museums stelle eine „Brücke des Le-bens“ dar, erklärt Museumsdirektor Líder Sucre: „In Panama entstand vor Millionen Jahren die Verbindung zwischen Nord- und Südamerika. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten verbreiteten sich über diese Landbrücke von Nord nach Süd und umgekehrt.“ Diese Geschichte will das Museum von Frank Gehry erzählen. Der bunte Baukörper sei ein Symbol für Panamas vielfältige Flora und Fauna, sagt Sucre. Es gehe nicht um Zahlen und Fachtermini, sondern darum, den Artenreichtum für die Besucher sinnlich erlebbar zu machen. Man muss kein Prophet sein: Gehrys außergewöhnlicher Museumsbau hat das Zeug zum Publikumsmagneten als Touristenattraktion für das kleine Land am Isthmus.
Gehry gilt als schillernde Figur der internationalen Architekturszene. Mit seinen Entwürfen des Guggenheim Museums in Bilbao, des Music Experience Project in Seattle, der Walt Disney Hall in Los Angeles oder des Gehry Tower in Hannover hat er sich den Ruf eines Dekonstruktivisten erworben. Seine Museen, Büro- und Wohntürme faszinieren und polarisieren zugleich, unberührt bleibt niemand. Für die einen gehört Gehry zu den großen Baumeistern unserer Zeit. Für seine Kritiker hingegen gleichen die Gebäude vom Hurrikan gepflügten Skulpturen. Immer der gleiche Gehry, nur eine andere Stadt, lautet ihr Vorwurf an den Pritzker-Preisträger, der auch schon mal Möbel, Schmuck und Haushaltsgegenstände designt.
Nun soll der schlagzeilenträchtige Stararchitekt auch in der Heimat seiner Ehefrau einen Hauch von Hochkultur verbreiten. Einen neuen architektonischen Wallfahrtsort in Zentralamerika wünschen sich die Museumsmacher um Líder Sucre. Schließlich ist das Biomuseo ein Prestigeprojekt für das wirtschaftlich aufstrebende Kanalland, das sich von seiner Drogenvergangenheit unter General Noriega verabschieden will. Ob sich der Bilbao-Effekt ohne Weiteres auch auf Panama übertragen lässt, bleibt allerdings abzuwarten.
Fliegendes Dach
Doch hier an der Küstenpromenade erhebt sich kein mächtiges Gehry Gebäude, das mit Titanplatten eine glitzernde Fassade vorweist, sondern ein verspielt konstruiertes Bauwerk: „Sein Profil ist asymmetrisch, es gibt eine Art fliegendes Dach mit ungewöhnlichen Farben und Flächen, die einem sofort ins Auge springen und die in keinem ersichtlichen Zusammenhang stehen“, sagt Sucre.
Dieses Puzzle aus blauen, gelben, grünen und roten Formen sei eine Metapher für das Dach des Regenwaldes, abstrakte Baumkronen, die sich überlagerten, scheinbar planlos unter- und ineinander schöben. Die Besucher sollten sich fühlen, als ob sie zwischen riesigen Bäumen stünden. Zum Glück fehlen die typischen, weil zum Einheitsoutfit verkommenen Gehry Wellen, keine blendende Architektur, stattdessen dominieren Ecken und Kanten.
Dafür hat Gehry die für ihn so typischen Ausstellungsräume entworfen: Es gibt keinen Mittelpunkt, keinen zentralen Raum, um die sich alles gruppiert. Spitze Winkel, Nischen, fallende Wände, schräge Decken und große, asymmetrische Fensterfronten folgen einander in schnellem Wechsel. Hinter jeder Ecke eröffnet sich eine neue Perspektive. Mächtige Steinsäulen und wuchtige Gewölbe prallen auf gekippte Betonwände und Böden – ein Museum ohne 90-Grad-Winkel, aber mit großem Vermarktungspotenzial für Panama – Biodiversidad powered by Frank Gehry, ein schönes, gleichzeitig auffälliges und rentables Objekt der Begierde für den internationalen Architekturtourismus.
Gleichwohl habe es bis heute Einwände gegen das Museum gegeben. Das Gebäude wurde in den Medien als Fehlinvestition kritisiert, als ein elitäres Kunstprojekt, das Millionen Dollar verschlingen würde, nur um ein Frank-Gehry-Juwel für die Stadt zu bekommen. „Alles Blödsinn!“ Líder Sucre lächelt, ein Leuchten erstrahlt auf seinem Gesicht, wenn er über Panamas Artenvielfalt spricht, eine der größten weltweit. In den Nebel- und Regenwäldern des Landes wachsen rund 10.000 tropische Pflanzenarten. Das Museum solle vor allem den Amerikanern nahebringen, dass die Natur ein Wert an sich sei, dass der Regenwald nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung habe. Für Europäer sei das selbstverständlich, aber in Nord- und Südamerika gebe es wenig Umweltbewusstsein, erklärt der 43-Jährige. Und er weiß, wovon er spricht. Denn Sucre arbeitet auch als Umweltaktivist für die Erhaltung des Regenwaldes: „Das Museum ist eigentlich nur die Verpackung, das eigentliche Geschenk befindet sich innen.“
Dort will man viele Geschichten erzählen – zum Beispiel: Wie ist Panama entstanden? Welche Folgen für die Pflanzen- und Tierwelt hatte die Trennung der Weltmeere? Wie ist es zu diesem unglaublichen Artenreichtum gekommen?
Sucre führt über die Baustelle und zeigt auf einen kubischen Raum mit verputzten Betonwänden. Hier entsteht gerade eine besondere Ausstellungsgalerie: Das „Panamarama“ ist ein Raum mit einem Glasboden im Zentrum, daneben, darüber und darunter Leinwände, die Bilder bunter Käfer und Pflanzenarten aus Panama projizieren. Dazu sollen im Hintergrund einmal Originalstimmen der etwa 900 Vogel- und 250 Säugetierarten Panamas erklingen: „Wir werden große LCD-Bildschirme im Boden versenken und um den ganzen Raum herum verteilen. Der Besucher taucht ein in eine Filmwelt, die ihn auf eine Reise mitnimmt durch die verschiedenen Lebensräume Panamas.“
Großartige Geschichte
Die Innenausstattung hat der kanadische Designer Bruce Mau entworfen. In acht Stationen erzählt er die Geschichte der Landbrücke, von der Entstehung und dem Austausch der Tierarten bis zu den Auswirkungen auf Weltklima, Ozeane und Menschheit. 4.600 Quadratmeter Fläche stehen dafür zur Verfügung, also weniger als die Größe eines Fußballfeldes. Es gibt Installationen und Skulpturen, einen Garten aus Basaltblöcken, Galerien und Aquarien, eine Rampe des Lebens mit Sensorial Effects. Aber keine Angst, beschwichtigt Sucre, es werde keine Multimedia-Überwältigungsästhetik geben. Das sei schließlich ganz im Sinne des Architekten: „Frank Gehry hat uns Folgendes erklärt: Was immer im Museum zu sehen sein wird, der Inhalt muss größer und wichtiger sein als das Gebäude selbst. Die Ausstellungen sollen die Besucher mehr beeindrucken als mein Museum! Panama hat eine großartige Geschichte zu erzählen, aber ihr müsst mir beweisen, dass ihr dazu in der Lage seid.“
Das Interesse an dem Projekt ist riesig, nicht nur in Panama selbst. Besucher aus aller Welt kommen schon vor der Museumseröffnung. Vor allem Panama erhofft sich mit der Eröffnung des Museums einen Anstieg der Touristenzahlen ohne den typischen Gehry-Titanplattenklon. Líder Sucre rechnet mit Mehreinnahmen für Panama von jährlich bis zu 60 Millionen US-Dollar.
Aber muss man wegen eines solchen Museums gleich nach Panama reisen? Die Antwort ist leichter als gedacht. Im Jahr 2014 wird der Panamakanal 100 Jahre alt. Die Hauptstadt entwickelt sich immer mehr zur Boomtown des Kontinents. Wegen der wirtschaftlichen und politischen Stabilität fließt viel Geld aus aller Welt hierher, oft zweifelhafter Herkunft, denn Panama ist eine blühende Steueroase. Nicht nur eine Brücke der Artenvielfalt, sondern auch der internationalen Finanzströme. In der Hauptstadt stehen die Bürotürme ebenso dicht an dicht wie in Dubai auf Bauland, das dem Meer mit dem Aushub der Kanalerweiterung abgerungen wurde.
Doch nicht allein der wirtschaftliche Nutzen für Panama rechtfertige die Investition in ein solches Leuchtturmprojekt: „Ich mag das Projekt, weil es ein fantastisches Geschäftsmodell für eine Bildungseinrichtung hat.“ Das Museum finanziere sich durch den Tourismus, aber in der Nebensaison sei der Besuch für Schulkinder kostenlos. „Für mich als Umweltschützer gibt es nicht Besseres, um den Menschen in Panama ihr nationales Erbe näherzubringen. Und das können wir am besten, wenn sie noch jung sind und zur Schule gehen.“ Dass Gehry ein smarter Profi ist, ein Genie der Selbstvermarktung und des ungenierten Selbstplagiats, das scheint den Museumsmachern entgangen zu sein. Gehry tanzt auf vielen Baustellen dieser Welt und singt dabei überall das Lied von der Einzigartigkeit des jeweiligen Orts. Seine Auftraggeber hören das gern.
Einen Teil der Kosten muss das Museum selbst aufbringen. Es gibt eine Stiftung, die vom Smithsonian Institute unterstützt wird. Den größten Teil aber bezahlt der Panamaische Staat, kein Pappenstiel für ein Land mit gerade einmal drei Millionen Einwohnern, erklärt Sucre. Angesichts der Armut unter der Bevölkerung abseits der Metropole würde nicht jeder dem Projekt zustimmen. Auch deshalb gibt es regelmäßig Streit, jede neue Regierung stelle das Projekt wieder infrage wie zuletzt im September 2011. Die Bauarbeiten liegen deswegen seit Jahren hinter dem Zeitplan zurück. Noch immer residieren Sucre und sein Team in einer Lagerhalle neben der Baustelle. Eigentlich sollte das Museum bereits 2010 eröffnen – pünktlich zum UNO-Jahr der Artenvielfalt. Doch der Termin musste mehrfach verschoben werden. Zum Jahreswechsel 2012/2013 soll es nun endlich so weit sein.