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Maus und Marmor

Junge Gegenwartspositionen aus Italien, bei denen niemand sagt, das hätte er auch gekonnt: Die Stiftung VAF ist mit ihrer zehnten Kunstpreis-Ausstellung in der Kieler Stadtgalerie zu Gast

Doch, es gibt auch Fotografisches zu sehen: Alessandro Nanni, „A day too great for the calendar numbers #35“ (2022) Foto: VAF/Stadtgalerie

Von Frank Keil

Beinahe wären Valentina Dienas Arbeiten gar nicht zu sehen gewesen. Denn als sich die in Mailand lebende Künstlerin für die Teilnahme an der Wettbewerbsausstellung der italienischen VAF-Stiftung bewarb, dachte das dortige Auswahl-Kuratorium zunächst an Fotografien. Und denen konnten die Verantwortlichen nicht genug abgewinnen, um sie in die Auswahl aufzunehmen. Glücklicherweise begegnete aber der Stiftungsgründer Dienas Bildern wenig später auf einer Kunstmesse wieder – sodass die hyperrealistischen, dabei mit Buntstift gezeichneten Arbeiten jetzt in einem eigenen Raum in der Kieler Stadtgalerie ihren so sonderbaren wie präzisen Charme entfalten. Da baumeln zwei glänzend rote Doc-Martens-Stiefel mit schwarzen Schnürsenkeln in der Luft; eine ausgedrückte Tube Ölfarbe steht auf dem Kopf: „Paint is Dead“, ist hier der Titel. Ist sie denn wirklich tot – die Farbe? Oder gar die Malerei?

Zum achten Mal ist der VAF-Kunstpreis in der Kieler Stadtgalerie zu Gast. Gegründet hatte die Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main im Jahr 2000 der Unternehmer Volker W. Feierabend, der in Mailand sein Geld verdiente, recht viel Geld wohl. Aus seiner Leidenschaft für die italienische Gegenwartskunst erwuchs nicht nur eine umfassende Sammlung, die im Museum „MaRT“ zwischen Trento und Verona ihren dauerhaften Sitz gefunden hat. Sondern eben auch das Bedürfnis, junge italienische Künstler_innen zu fördern.

Also vergibt man seit 2003 alle zwei Jahre einen Kunstpreis, wobei bisher das zuständige Kuratorium wochenlang quer durchs Land reiste und sich von Tirol bis Sizilien in den Ateliers umschaute, um seine Auswahl zu treffen. Seit diesem Jahr geht man etwas schnöder vor: Künstler_innen können sich jetzt auch selbst um den Preis bewerben – und das Kuratorium ist weit weniger unterwegs.

Weiterhin gültig bleibt aber der Grundgedanke: Italienische Künstler_innen auf dem Weg zu Erfolg und Anerkennung stellen sich in mindestens einer Ausstellung dem deutschen Publikum. Und dieses kann umgekehrt schauen, was sich bildnerisch in Teilen der jungen Kunstszene Italiens tut.

„Dazu müsste man selbst durch Italien reisen“

Kurator Sönke Kniphals zur Frage, wie repräsentativ die Auswahl der gezeigten Kunst ist

Lässt sich da erfahren, was „typisch italienisch“ ist? Sönke Kniphals, als Kurator der Stadtgalerie nicht für die Zusammenstellung zuständig, aber für Präsentation und Vermittlung, gibt sich zurückhaltend: „Es ist die Auswahl des Kuratoriums einer Stiftung und damit der Blick durch dessen Linse; um zu wissen, ob die Auswahl allgemeingültig ist, dazu müsste man selbst durch Italien reisen.“ Und doch sei zugleich unübersehbar, dass die gezeigten Kunstwerke auch diesmal etwas unbedingt vereint: „Die Arbeiten, die man hier sieht, zeichnen sich alle durch hohe handwerkliche Präzision und perfekte Materialbeherrschung aus.“ Deutlich erkennbar seien die stetigen Rückbezüge auf die italienische Kunstgeschichte: „Die großen kunsthistorischen Traditionen werden immer mitverhandelt“, sagt Kniphals. Etwas profaner ausgedrückt: „Marmor fehlt in keiner Italienausstellung.“ Das hat Auswirkungen auf das Publikum: „Es kommt bei unseren Führungen sonst immer mal wieder vor, dass ein Besucher sagt: ‚So ein Bild malen kann ich auch, also was soll das jetzt?‘“, erzählt der Kurator. „Bei der Ausstellung zum VAF-Preis geschieht dies nie.“

Dabei dauert es auch jetzt nicht lange und man kommt ins Schlingern: Ist das, was sich im Vorbeigehen für vergleichsweise klassische Malerei, für Öl auf Leinwand halten kann, vielleicht gar keine? Das gilt etwa für die Porträts, Figurengruppen und auch Stillleben von Teresa Giannico, bei denen bald collagenhafte Verdoppelungen, auch Brüche und Risse im Abgebildeten reizvoll irritieren. Tatsächlich sucht sich die Künstlerin ihr Bildmaterial im Internet und den so genannt sozialen Netzwerken. Diese Motive setzt sie dann Schnipsel für Schnipsel zusammen, schiebt sie aber nicht mit Schere und Kleber zurecht, sondern mit der Maus – und druckt das für abgeschlossen erklärte Werk am Ende auf Baumwollpapier aus.

Mit Ironie und präzisem Buntstift-Strich: Diena Valentina, „Paint is Dead“ (2023) Foto: VAF/ Stadtgalerie

Überzeugend sind etwa auch die skulpturalen Arbeiten von Michele Tajariol, der aus Sicherheitsgurten Kopf-Masken anfertigt, mit denen er sich wiederum selbst fotografisch porträtiert hat: Dient die Maske dem Schutz – und falls ja, vor wem und warum? Oder wird nicht vielmehr dem Künstler eine Art Zwangsmaske aufgezwungen? Dazu gesellen sich die popkulturell geerdeten Wimmelbilder von Adriano Annino; die von Chiara Calore zunächst virtuell neu montierten Motivklassiker, nämlich Venus- und Jesus-Darstellungen, hier aber umgesetzt in Öl auf Leinwand; oder die so fassbar organischen, weil an Naturmotiven orientierten Skulpturen von Beatrice Taponecco – aus Marmor.

Da ist für jede_n etwas dabei, bei hoher künstlerischer Qualität. So sagt auch Sönke Kniphals mit norddeutscher Inbrunst: „Die Besucher_­innen lieben diese Ausstellung!“

bis 1. 9., Stadtgalerie Kiel

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