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Menschliche Untiefen umschifft

Das Theater Lübeck spielt „Moby Dick“ als Sommertheater im Domhof neben dem Museum für Natur und Umwelt als Gag-reiche Abenteuergeschichte mit biederem Mitschunkel-Shantypop. Wichtige Themen gehen im fidelen Aufführungsgestus unter

Wenn die Bühne schon neben einem Walskelett steht, bietet sich natürlich „Moby Dick“ an Foto: Isabel Machado Rios/Theater Lübeck

Von Jens Fischer

Es musste so kommen. Im vergangenen Jahr fand das Theater Lübeck für sein erstes Sommertheater im Innenhof des großenteils abgerissenen Klosters am romanisch-gotischen Dom einen prima Open-Air-Spielplatz. Gut geschützt vor Wind und dem Lärm der Stadt ließ sich dort mit Shakespeares „Romeo und Julia“ auch konzentrierende Nähe zur Bühne herstellen. Südlich thront die anti-attraktive 1960er-Jahre-­Architektur des Museums für Natur und Umwelt, geschmückt mit einem attraktiven Glasanbau. Das 14 Meter lange Skelett eines 1997 vor der dänischen Nordseeinsel Rømø verendeten Pottwals ist dort mit all seinen fiesen Zähnen aufgebahrt.

Pottwal! Da assoziieren nicht nur Theatermacher sofort Moby Dick. Kein Wunder also, dass dieses Jahr auf dem Domhof der Genre sprengende Roman Herman Melvilles inszeniert wurde und dabei die knochigen Reste des Meeressäugers die Hälfte des Bühnenbilds ausmachen. Daneben ist ein aufgeschnittener Schiffsrumpf gebaut, davor ein Meer bedeutendes Bassin. Schwindelerregend wirkt eine 115 Meter hoch zum Domturm, also himmelwärts gezogene Strickleiter. Als Statisten kreisen Möwen kreischend über dem Geschehen.

Dreimal trötet das Signalhorn, dann steht ein achtköpfiger Chor als Erzähler Ismael vor der Bühne, aus ihm lösen sich die Figuren der Handlung. Besonders gut gelingt das zu Beginn, wenn Ismael auf der Bühne von Luisa Böse gespielt wird, die sich als selbstbewusst strahlende Frau in eine kraftprotzend grölende Männerhorde begibt, um auf einem Walfänger anzuheuern. Dabei ekeln sie schon die speicheligen Reinigungsmethoden der Seeleute. Nur wirkt die Szenerie nie ­machobedrohlich, eher wie die putzige Schau von Stammtischkarikaturen.

Die reden mit dem als „Kannibalen“ angesprochenen indi­genen Fremdling Queequeg, als wäre er ein Kleinkind. Was der Harpunier schön kontert, indem er mit nobler Seelenruhe in elaboriertem Deutsch antwortet. Natürlich eine Anspielung auf achtlos stummeldeutsch geführte Kommunikation mit Menschen, die anders aussehen als man selbst. Auch textlich bemüht sich Regisseur Malte Lachmann mit seiner auf alltagssprachliche Schlichtheit getrimmten Übersetzung um Anspielungen aufs Hier und Heute. „Moin, moin!“ lautet eine für US-Walfänger eher untypische Begrüßungsformel.

Warum willst du jagen, lautet die existenzielle Frage der Walschlächter. Melville verhandelt sie, Lachmann zitiert sie. Kapitän Ahab lässt er eine Einpeitscherrede an seine Crew halten und dazu Rum ausschenken, damit alle seinem Rachefeldzug gegen den weißen Wal folgen, der ihm das rechte Bein abgerissen hat. Der gefürchtete Seebär reklamiert für sein Handeln die „Freiheit“ – und versteht darunter absolute Machtbehauptung: Nichts und niemand, auch kein Gott, bestimme über ihn.

Mit der klassischen Interpretation, es gehe um die menschliche Hybris des selbstzerstörerischen Krieges zur Unterwerfung der Natur, die sich gegen ihre Ausbeutung wehrt, weiß die Regie aber genauso wenig anzufangen, wie mit dem gern betonten Aspekt, dass sich hier Menschen von Ahab als einem demagogischen Populisten zu schlichtem Feindbilddenken manipulieren lassen.

Kein Menetekel vom Ende der Menschheit ist zu erleben, sondern ein spritzendes Planschbecken­vergnügen

Immerhin wird ein ökonomischer Einwand laut: Statt Hass auszuleben sollte man doch lieber möglichst viele Wale zu Tode harpunieren und aus ihrem Speck den Tran kochen; denn mit dem Schmier- und Leuchtmittel der Industrialisierung ließe sich üppig Geld verdienen.

Das hat Folgen. Ein Tier wird erlegt und – weil wir im Theater sind – in Gestalt einer Plastikplane aus dem Wasser gezogen, zerschnitten und ans Publikum verfüttert: blutrote Fruchtgummibänder mit Apfelgeschmack. Lustig. Wie so vieles an diesem Abend. Die wenigen Versuche, Diskurse mit kurzen Monologen anzudeuten, verlieren sich im fidelen Aufführungsgestus – wie auch die sechs Musiker im dunklen Bühnenhintergrund, wo sie biederen Mitschunkel-Shantypop zum eher folk-punkig ächzenden Plot intonieren.

Stammtischkarikaturen Foto: Die Seeleute wirken wieFoto: Isabel Machado Rios/Theater Lübeck

Zum Showdown kündigt sich der Wal an mit einer Wasserspritzfontäne und Whirlpoolblubbern im Bassin; wird dann als nachgebauter Skelettkopf durch die Szenerie getragen und macht angeblich alles kaputt und alle ertrinken. Aber kein Menetekel vom Ende der Menschheit ist zu erleben, sondern ein spritzendes Planschbeckenvergnügen. Die Regie hat ein Händchen für die Gag- und Action-reiche Abenteuergeschichte, aber nicht für die Auseinandersetzung mit den von Melville durchaus philosophisch, politisch, religiös, psychologisch und naturwissenschaftlich ausgeloteten Untiefen des Menschlichen, dem Mehrdeutigen, Zweifelhaften und Geheimnisvollen.

So schreibt Lachmann im Spielzeitheft 2024/25, man könne sich ja nicht 24 Stunden am Tag mit dem Kampf für eine bessere Welt beschäftigen, müsse auch mal entspannen, da komme das Theater ins Spiel … Das Publikum dankt mit stehendem Applaus. Für unsere Gesellschaft wichtige Themen sollen ab September wieder auf der Lübecker Bühne greifbar werden.

Heute, 20 Uhr, Domhof, Lübeck; Gespräch mit Kapitän Stefan Schmidt über die Seefahrt als Beruf um 19.15 Uhr; weitere Termine tägl. bis 17. 7.; theater-luebeck.de

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