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Battle-Rap im Schlachtfeld-Museum

Das Varusschlacht-Museum im niedersächsischen Kalkriese öffnet in der Ausstellung „Dressed – Rom Macht Mode“ unsere Augen nicht nur für die Textilien der Antike. So gelungen und persönlich war in den vergangenen Jahren dort keine Ausstellung

Von Harff-Peter Schönherr

Ein gewaltiger Spiegel, davor ein rotes, weit fallendes Gewand: So beginnt die Sonderausstellung „Dressed – Rom Macht Mode“ des Varusschlacht-Museums im niedersächsischen Kalkriese. Daneben steht: „Was ziehe ich heute bloß an?“

Wer weitergeht, als imaginärer Römer, betritt ein Kaufhaus, das überschwänglich alles anpreist, was der standesbewusste Senator oder die verführerische Ehefrau braucht, der Legionär, der Sklave, das Schulkind. Von der Toga bis zum Schlauch-BH, vom Gürtel bis zum Schuh, von der Tunika, von der Kaiser Augustus gegen die Kälte gleich vier Stück übereinander getragen haben soll, bis zum Slip, der fast aussieht wie heutzutage: „Wer sie je einmal getragen hat“, verheißt ein Werbeschild, „wird auf eine Unterhose nie wieder verzichten wollen!“

„Dressed“ ist eine der ungewöhnlichsten und zugleich gelungensten Ausstellungen, die dieses Haus in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Und so mehrdeutig wie der Untertitel „Rom Macht Mode“ ist die gesamte Präsentation. „Das ist keine ehrfurchtheischende Bildungsbürgerveranstaltung“, sagt Archäologe Stefan Bur­meister der taz, der Leiter des Museums, und man spürt, wie ihn das freut. „Wir versuchen hier auch, aus der Distanzperspektive die Gegenwart zu verstehen.“

Gewiss, wir lernen, dass Kleidung für viele Römer so teuer war, dass man sie bis zum Auseinanderfallen trug. Wir lernen, dass es ein No-Go war, sich mit Hausschuhen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wir lernen, dass römische Kleidung Rückschlüsse auf Familienstand und Rechtsstatus ihrer TrägerInnen zuließ. Wir lernen, woher die Rohstoffe kamen, von Nordafrika über Indien bis Fernost. Wir sehen einen Webstuhl, können Handspindeln erproben, unterscheiden die Wolle von Gotlandschaf und Moorschnucke. In kleinen Glasschälchen stehen Färbemittel wie Krapp und Indigo vor uns wie im Labor. Und am Ende wissen wir sogar, wie es abläuft, wenn die römische Armee in Ägypten 200 neue Mäntel ordert.

Aber das ist nicht alles. Ein Vergrabungsexperiment im Museumspark zeigt uns, dass Textilien im Boden sehr rasch vergehen, es mit Originalfunden also hapert, warum römische Mosaike und Skulpturen, Rechnungen und Briefe unserer Imagination aushelfen müssen. Wir lesen, was Philosoph Seneca von lasziven, nichts verbergenden Seidengewändern hält. Und wir erfahren, dass Kleidung nicht nur schützt und schmückt, sondern auch das Ich definiert.

Wir gehen im Modemarkt („Sie suchen einen neuen Look? Wir haben die Lösung!“) von Kleiderständer zu Kleiderständer, schieben Bügel hin und her, schmunzeln über ironische Marketing-Ideen, prüfen Stoffe zwischen Daumen und Zeigefinger, tragen antike Pieces zur Umkleide.

Wir sind dabei Marcus, 8, oder Livia, 32, oder Aurelia, 13, von der wir erfahren, dass sie sich fürs Lesen interessiert. Und wenn bei Asterix „Die spinnen, die Römer!“ gesagt wird, hat das plötzlich zwei Bedeutungen. Ingo Petri, Leiter der Museumspädagogik in Kalkriese, lacht. „Genau so ist’s gedacht!“, sagt er der taz.

„Dressed“ ist lustig und leichthändig, ernst und kritisch. Wir werfen einen Blick auf die Kostüme von Hollywood-Monumentalschinken wie „Spartacus“ und „Gladiator“. Es geht um das Fleisch-Kleid, das Lady Gaga 2010 bei den MTV Music Awards trug. Es geht um Frauenkleider für Männer. Es geht um Influencer und ihre Fashion-Hauls auf TikTok.

Die Schau wechselt zwischen Faktischem und Spielerischem, zwischen der (Kalkrieser) Archäologie und dem übermäßigen Textilkonsum von heute. Hier geht es nicht nur um die Antike, nicht nur um Wissenschaftsvermittlung. Es wird persönlich, mahnend und schräg, augenzwinkernd und bitter. Und nie fühlt sich das inhomogen an. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Einst und dem Jetzt erschließen sich. Der Mensch, wird klar, war schon immer, wie er ist.

Wir gehen im Modemarkt von Kleiderständer zu Kleiderständer, schieben Bügel hin und her, schmunzeln über ironische Marketing-Ideen und tragen antike Pieces zur Umkleide

Dazu trägt bei, dass „Dressed“ neben dem Snobismus einstiger Purpurträger fast aktivistisch Luxusmarken von Moschino bis Dior geißelt, von Versace bis Prada. Dazu trägt der wüste Fight bei, den sich am Ende der Schau zwei Ruhrgebiets-Rapper als römische Senatoren liefern und der, so eine Content-Warnung an den Kopfhörern, „nichts für Kinderohren“ ist. Dazu trägt bei, dass sich uns einbrennt, dass eine Jeans 7.000 Liter Wasser verbraucht, 40 Prozent unserer Klamotten kaum angezogen werden und von den 6.500 Chemikalien, die wir für die Herstellung, Veredlung und Färbung unserer Textilien einsetzen, Hunderte umwelt- und gesundheitsschädlich sind.

Eine kühne Mischung. Dass sie gelingt, ist auch dem Fachbereich Textiles Gestalten der Universität Osnabrück zu verdanken, der mitgestaltet hat, Politbotschaften inklusive.

Wer das Kaufhaus verlässt, kann Fashion-Selfies machen, mit römischen Pappfiguren. Ein bisschen trashig ist das schon – das Museum steht unter Spar­zwang. Aber es ist bewusster Trash: Selbstironie ist gefragt.

„Dressed – Rom Macht Mode“: bis 24. 11., Varusschlacht im Osnabrücker Land – Museum und Park Kalkriese

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