crime scene
: Der Exorzist und die Dorf-Esoterikerin

Als alleinerziehende Halbtagskraft, und als Frau sowieso, ist Kommissarin Bettina Boll in ihrer schwäbischen Provinzdienststelle einsame Vertreterin einer Minderheit. Das verbindet sie mit dem einzigen afghanischstämmigen Kollegen, dem sie unabsichtlich einen Fall wegnimmt, weil der Chef findet, dass kein „Nicht-Christ“ ermitteln dürfe, wenn sich, wie gerade passiert, ein Muslim das Leben genommen hat.

Eigentlich gibt es da gar nichts zu ermitteln, denn dass der junge Mann, der vor ein paar Jahren seine Freundin umgebracht hat, nun im Gefängnis Suizid begangen hat, ist ziemlich klar. Dass aber im ungelesenen Koran des Toten ein katholischer Totenzettel mit einem Bildausschnitt des Isenheimer Altars gefunden wird, scheint so seltsam, dass Bettina der Sache doch nachgeht. Sie nimmt Kontakt auf zu einem Jugendbetreuer der katholischen Kirche, der den jungen Mann gut kannte, und erfährt ein paar ungewöhnliche Fakten. Unter anderem findet sie heraus, dass der Jugendbetreuer Exorzismen an dem Selbstmörder vorgenommen hatte und sich auch selbst exorzieren lassen wollte – was in Deutschland, wo „Besessenheit“ durch ein psychiatrisches Gutachten belegt werden muss, offiziell gar nicht möglich ist. Die Psychiaterin, die mit dem Fall zu tun hatte, ist aber, wie Bettina in Erfahrung bringt, schon vor längerer Zeit spurlos verschwunden. Kurz nach ihrem Gespräch verschwindet der Jugendbetreuer ebenfalls – und zwar, nachdem in der Dorfkirche bei einem Marienbild das Jesuskind mit schwarzer Farbe übermalt wurde.

Es würde zu weit führen, alle Stränge, zu denen die Handlung sich ab hier teilt, zu skizzieren. Feststellen lässt sich, dass sie sich von ihrem Ausgangspunkt weit entfernt, am Ende aber organisch wieder dort andockt. In der Zwischenzeit breitet Monika Geier ein dörfliches Panorama origineller Charaktere vor uns aus, in dem einige nicht sind, was sie scheinen. Eine allerdings wächst sich beinahe zu einer Hauptperson aus, einer Ermittlerfigur ohne offiziellen Auftrag, ohne deren vielfältige Aktivitäten die Handlung nicht denkbar wäre: Die Dorfesoterikerin Elle, die Kräuterkurse gibt, aber für Geld auch die Kirche putzt, zeichnet sich nicht nur durch ein waches Gespür für die Aura ihrer Mitmenschen aus, sondern auch durch erfrischende Neugier. Zwar führt ihre Einbildungskraft sie auch auf falsche Fährten, aber immerhin entdeckt sie nebenbei eine Leiche …

Entspannt webt Monika Geier in Bettinas und Elles Ermittlungsaktionen eine weitere, nur scheinbar „private“ Ebene, in der Bettina mit dem alten Haus hadert, das sie geerbt hat, und in dem es entweder spukt oder jemand aus Fleisch und Blut umgeht, der dort nichts zu suchen hat. Die Mutterrolle, die Bettina für die Teenagerkinder ihrer verstorbenen Schwester übernommen hat, stellt sie gleichzeitig vor Herausforderungen. Und dass es gerade die Mutterrolle an sich ist, um die es in diesem ziemlich komplexen Kriminalroman geht, darauf verweist zwar schon das geschwärzte Jesuskind, aber die dramatischen Dimensionen, die damit angesprochen werden, erschließen sich erst nach und nach.

Das alles ist klug komponiert, cool formuliert, beziehungsreich und spannend – über diesen Roman lässt sich nur Gutes sagen.

Monika Geier: „Antonius­feuer“. Ariadne, Argument Verlag, Hamburg 2023, 432 Seiten, 24 Euro

Katharina Granzin