Breivik ist doch kein Psychopath

NORWEGEN Ein zweites Gutachten erklärt den rechtsradikalen Islamhasser, der in Oslo und auf Utøya 77 Menschen tötete, für zurechnungsfähig. Prozessbeginn am nächsten Montag

„Es besteht ein hohes Risiko für neue gewaltsame Handlungen“

RECHTSPSYCHIATRISCHES GUTACHTEN

VON REINHARD WOLFF

STOCKHOLM taz | Der norwegische Terrorist Anders Behring Breivik ist nicht psychisch krank. Es gibt deshalb keine juristischen Hinderungsgründe, ihn zu einer Haftstrafe zu verurteilen. Zu diesem Resultat kommt ein rechtspsychiatrisches Gutachten, das am Dienstag in Oslo veröffentlicht wurde. In Auftrag gegeben hatte es das Gericht, vor dem ab dem 16. April die Terroranklage gegen Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet hatte, verhandelt werden wird.

Die RichterInnen haben es nun mit zwei Gutachten zu tun, die zu völlig entgegengesetzten Beurteilungen über den psychischen Gesundheitsstatus des Angeklagten kommen. Das neue Gutachten hatte das Gericht in Auftrag gegeben, nachdem im Dezember ein erstes rechtspsychiatrisches Gutachten Breivik als psychotisch eingeschätzt und die Diagnose paranoide Schizophrenie gestellt hatte. Damit wäre er unzurechnungs- und nicht schuldfähig. Statt Haftstrafe käme nur die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung in Frage.

Diese Diagnose war auf umfassende Kritik gestoßen. So war die Einschätzung, Breivik habe sich ein „System bizarrer, paranoider und grandioser Zwangsvorstellungen“ konstruiert, wonach er meine, „Teilnehmer an einem Bürgerkrieg zu sein“, damit begründet worden, er glaube, Europa werde vom Islam überflutet. Norwegen befinde sich daher in einem Krieg.

Das neue Gutachten stellt allein auf Gespräche mit Breivik ab. Dabei seien keine Hinweise gefunden worden, dass Breivik zum Tatzeitpunkt unter einer psychischen Erkrankung gelitten habe. Folglich kommen die Gutachter auch zum Ergebnis: „Es besteht ein hohes Risiko für neue gewaltsame Handlungen.“

Breivik hatte sich zunächst gegen ein neues Gutachten gesperrt. Letzte Woche schrieb er jedoch einen Brief an einige Zeitungen, in denen er auf 200 „Fehler“ im Erstgutachten hinweist und dessen Diagnose angreift: Er sei bei der Planung und Ausführung seiner Handlungen völlig zurechnungsfähig gewesen.

Zur Stütze seines Weltbilds, Europa werde vom Islam überflutet, benannte Breivik drei Dutzend Zeugen und mehrere Psychiater. Mit diesen Beweisanträgen trifft sich Breivik mit entsprechenden ZeugInnen, die einige Opferanwälte benannt haben. Die Rechtsextremismusexperten Tore Bjørgo und Terje Emberland sollen den ideologischen Hintergrund des Terroristen beleuchten. Bjørgo hatte kritisiert, man zeige große Unkenntnis von der antiislamischen Szene, qualifiziere man Breiviks Weltbild als krank ab: „Wir brauchen eine Debatte über Rechtsextremismus, nicht über Breiviks Gehirn.“ Sonst laufe die Gesellschaft Gefahr, die Bekämpfung dieser Ideen zu versäumen.

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