berliner szenen: Der Stamm als Bildträger
Ein Waldspaziergang in Berlins Norden. Auf drei, vier Kiefern nicht weit vom Weg blitzt Graffiti, die Stämme schimmern großflächig silbern, blaumetallic, rot, gelb. Einstige Harzgewinnungsbäume. Das von der Rinde entblößte Stammholz weist fischgrätig angeordnete Schnittrillen auf. „I like the colours“, ruft mein Freund und sieht genauer hin: „Der verwundete Stamm als Bildträger!“, meint er dann. „Erst Harzgewinnung“, sag ich, „und jetzt Farbe. Fänd ich ätzend als Baum.“ – „That’s art“, sagt der Freund, und: „Durch die Farbe wird der Schmerz des Baums erst sichtbar.“ Er fotografiert kniend einen Stamm. – „Warum kein Baumbalsam?“, frag ich. „Die zigfache V-Gravur“, schwärmt er, streicht übers Relief. „Und wie das Licht durch den Wald strömt, mit den Farben spielt!“ So redet man aneinander vorbei. „Hätt ich jetzt meine Dosen, würd ich den nehmen, da, schau!“ Er zeigt auf eine noch farbverschonte Harzungskiefer. Über den Einritzungen, einst Kanäle für die Harztränen, spannt sich ein Spinnennetz. „Deine Dosen?“, frag ich verwundert – ich wusste, er ist Künstler, aber nicht, dass er auch sprayt. „Ja, schon … aber würde mir nicht gefallen als Baum“, sag ich erneut. Natur ist mir lieb und teuer. Sein Schweigen.
Wir schlendern weiter, gehen barfuß über ein Wurzelgeflecht, das sich über den Weg breitet wie eine knorrige Girlande. Darüber stolpert der Freund, fällt, liegt flach auf dem Waldboden. Ich muss unwillkürlich lachen. Beim Aufstehen entdeckt er, dass ihm am Knie ein kleiner Winkel klafft, eingeritzt wohl von einem Steinchen.
Wochen später sehen wir uns wieder. Die Schramme am Bein hat er sich eintätowieren lassen, entdecke ich abends. Nicht übel, das kleine Werk, find ich. Verstehe ihn besser. Sich eingravieren, verewigen auf dem Lebendigen. Er bleibt Konzeptkünstler. Felix Primus
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