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Archiv-Artikel

kritik der woche Im rosa Puppenheim

Nein, dieser Ken ist kein Macho. Er ist ein Softie-Trottel, mäßig beweglich und jederzeit bereit, irgendwelche Werbe-Parolen zu Säulen seines Identitätsgefühls zu machen. „Dieser Porsche Cabrio ist wie für mich geschaffen. Für den Mann der Tat. Markant und elegant.“ Er seufzt glücklich.Wobei er ein Mann der Tat nun nicht gerade ist, versitzen er und Barbie in Inga Wagners „Der Lack ist ab“, uraufgeführt am Hamburger Schauspielhaus, ihren Alltag doch selig im bonbonrosa Puppenheim. Wie am Tag, an dem die Märchen enden, leben sie in der US-amerikanisch gestylten Welt, die auch Westdeutschlands Mädchen in den 70ern gierig aufsogen.

Dann allerdings beginnt Barbie (Edith Adam) arg zu straucheln, stößt gegen Tisch und Wände, und auch die Verbal-Spieluhr funktioniert nicht mehr: Sätze wie „Ich sehe schrecklich aus“ brechen hervor, Fehltöne haben sich in Wort und Rhythmus geschlichen. Barbie findet nicht mehr zu ihrer früheren Form. Form? „Ich bin nur Form“, sagt sie unvermittelt. „Ich fühle mich schlecht, und das ist normal.“ Dann: „Ich will was ändern“; ob wohl die Frauenzeitschriften-Feng- Shui-Tricks etwas nützen? Wahrscheinlich wird’s nicht reichen – und was ganz bestimmt nicht reicht, ist Kens Begreifen.

Wie im Comic-Strip, wie auf Fotos der 50er Jahre – und wie in jedem Werbespot unserer Tage fühlt sich, wer dies betrachtet, schockierend nah herangerückt an die Rollbacks aller Art; Weibchenklischees haben noch längst nicht ausgedient. Veränderung, Bewusstwerdung, Visionen? Fehlanzeige: Eine Spieluhr, die nicht mehr tickt, wird heute nicht mehr repariert, sondern ersetzt – genau wie Barbie: Schon ist, grün gekleidet, Betty (ah: dasselbe in Grün!) zur Stelle, und Ken ist bald Feuer und Flamme.

Eine herzige Durchschnittsgeschichte, die nicht traurig stimmte, beschliche einen nicht der Verdacht, dass man sich hier keineswegs im Reich von Groteske und Farce befindet, sondern am Rande der Realsatire: Die Leichtigkeit des Frauentauschs, die legeren „Ihr seid so lächerlich“-Kommentare Barbies angesichts des neuen Glücks zeigen akkurat, woran unsere Gesellschaft krankt: An jener als Toleranz getarnten Gleichgültigkeit, die Revolte tötet, indem sie sie flugs in ihr „Wir sind alle ok“-Denken integriert. Und die so – nicht einmal der Wut über Abweichung mehr fähig – jeden Frischluft-Schnapp elegant erstickt. Petra Schellen

nächste Vorstellung: 1.6., 22 Uhr, Deutsches Schauspielhaus Hamburg