Ausgehen und rumstehen von Marta Ahmedov
: Eng wie in einer Marschrutka

Foto: privat

Mein persönliches Wort des Jahres steht fest, seitdem es mich auf einer Reise durch Zentralasien mehrere Male rettete, als es sonst nicht mehr weiterzugehen schien: Marschrutka heißen die Sammeltaxis, mit denen sich die vielen Strecken dort bewältigen lassen, für die es keine Zugverbindungen gibt. In einem Marschrutka wurde ich vor zwei Monaten zum ersten Mal mit moderner zentralasiatischer Musik beschallt. Mitten in der Wüste von Usbekistan drehte der Fahrer das Radio auf, seitdem möchte ich kaum noch etwas anderes hören. Deshalb war ich ganz aus dem Häuschen, als ich zurück in Deutschland von einer angeblich legendären Party hörte: Zweimal im Jahr findet in Berlin „Dance with the Stans“ statt, mit DJs und Musik aus Zentralasien.

Am lang herbeigesehnten Abend kommt mir schon der Bus zur Party vor wie ein Riesen-Marschrutka, denn neben mir sitzen drei Frauen mit traditionellen usbekischen Kappen, die sich auf Russisch über den bevorstehenden Abend unterhalten. Ich traue mich nicht, sie anzusprechen, also gehe ich ein paar Meter hinter ihnen zur Kulturfabrik Moabit. Neben der Party läuft dort im Juni auch eine Ausstellung mit Werken zentralasiatischer Künstler:innen. Eine von ihnen, Umida Akhmedova, wurde 2010 in Usbekistan verhaftet und wegen Beleidigung des usbekischen Volkes verurteilt, weil ihre Fotografien das Leben der Menschen zu ungeschönt zeigten. Ihre Tochter treffe ich jetzt zufällig am Poffertjes-Stand im Innenhof der Kulturfabrik. Wir sprechen über die junge Kulturszene in Taschkent und ich erzähle von einem selbst organisierten Zentrum, das ich dort entdeckt habe. Ja, kennt sie, das ist ein Projekt ihres Bruders, antwortet sie mir. Am Ende ist es doch eine recht kleine Blase, die politische Kultur in Zentralasien betreibt und sich damit zwischen den Hauptstädten bewegt.

Auf der Tanzfläche herrscht schon echte Marschrutka-Stimmung, es ist eng und stickig. Auch die Musik passt, denn DJ Arbor spielt zum Einstieg Hits aus Zentralasien, wie man sie dort in den Radio-Charts hören kann. Das tun viele der Gäste offenbar auch, denn sie können bei den meisten Songs laut mitsingen.

Das wahre Highlight des Abends kommt aber erst: Dina Nour, DJane und Sängerin aus Kasachstan, muss man live erleben, denn auf Streaming-Plattformen ist sie leider nicht zu finden. Synthesizer und harte Bässe mischt sie mit Instrumenten, die ich nicht benennen kann. Ist das eine Dotar? Nein, es muss ein Blasinstrument sein, im Hintergrund eine Trommel. Die Musik wird immer schneller und dann nimmt Dina Nour auch noch das Mikrofon in die Hand und beginnt zu singen. Ruhiger, beinahe meditativer kasachischer Gesang legt sich über den Techno, es ist ein match made in heaven.

Ausgerechnet der Song, der die Menge am meisten bewegt, ist kein zentralasiatischer. Dina Nour spielt ihn, um an das letzte Set für den Abend zu übergeben: Die Slaystans sind ein queeres DJ-Kollektiv, das seit einigen Monaten in Berlin aktiv ist. Einen queeren Hit wie „I am what I am“, mit dem sie begrüßt werden, gibt es leider noch in keiner zentralasiatischen Sprache. Umso wichtiger ist seine Botschaft für die Gäste.

Ja, die Gruppe, die hier tanzt, hat nichts mit der Lebensrealität der meisten Menschen in Zentral­asien gemein. Es ist eine kleine Elite, die es sich leisten kann, ihre Herkunft in Berlin wortwörtlich neu aufzulegen und daraus auszubrechen. Und trotzdem gibt einem diese kleine Utopie die Hoffnung, Türen aufstoßen zu können.

Umso bitterer, nach dieser Nacht am Wahlsonntag in einem Deutschland aufzuwachen, das gerade in genau die andere Richtung zu laufen scheint.