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Keine Ballermannhits

Ohne Noten: Beim „Rudelsingen“ geht es um das Live-Erlebnis und das gemeinsame Singen

In großer Runde Hits singen, ohne Noten, ohne Angst vor schiefen Tönen – das ist die Idee des Rudelsingens: Bekannte deutsche Schlager und internationale Poptitel aus den letzten Jahrzehnten werden von zwei Musikern auf der Bühne gespielt, im Hintergrund ist auf einer großen Leinwand der Text zu sehen und das Publikum singt aus voller Kehle mit. Mitunter wird dazu auch geschunkelt und getanzt. Erstmals hatte David Rauterberg 2011 in Münster so ein Rudelsingen veranstaltet, seitdem findet es regelmäßig mehrmals im Jahr in vielen Städten statt.

„Anfangs kamen vor allem Frauen ab 40 aufwärts, manche brachten ihren Mann mit. Heute ist das Publikum bunt gemischt, manchmal kommen drei Generationen aus einer Familie“, sagt Rauterberg, der Geschäftsführer der Rudelsingen GmbH ist. Er legt Wert darauf, dass Sänger wie Mark Forster und Johannes Oerding mit Titeln im Programm vertreten sind, um auch ein jüngeres Publikum zu erreichen.

Während der Pandemie fiel das Rudelsingen aus, ein digitales Ersatzangebot am Computer fand wenig Resonanz. Seit Anfang dieses Jahres sind viele Veranstaltungen ausverkauft – der Wunsch nach einem Live-Erlebnis und gemeinsamem Singen ist groß. Rauterberg beobachtet beim Publikum Veränderungen gegenüber der Vor-Corona-Zeit: „Früher hat es länger gedauert, bis die Leute richtig mitsingen. Heute halten sie sich anfangs nicht mehr zurück und sind dafür am Ende eher kaputt. Vielleicht verkürzen wir deswegen künftig das Programm.“

Das besteht zur Hälfte aus deutschsprachigen Liedern. Vor einer Veranstaltung kann man Wünsche äußern. Bei den meist weiblichen Fans stehen bekannte Melodien von Cat Stevens („Wild World“), Abba („Take a chance on me“), den Eagles („Hotel California“), Nina Hagen („Auf’m Bahnhof Zoo“) oder den Comedian Harmonists („Irgendwo auf der Welt“) ganz oben auf der Wunschliste. Ob sie tatsächlich gespielt werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. „Ein Lied muss singbar sein, und zwar nicht nur der Refrain, sondern auch die einzelnen Strophen“, erklärt Rauterberg und fügt hinzu: „Außerdem spielen wir weder Ballermannhits noch Titel von Helene Fischer und Andrea Berg. Ihre Musik spaltet das Publikum – ein Drittel findet sie toll, ein Drittel geht.“

Rauterberg ist im Ruhrgebiet, in Westfalen, Niedersachsen sowie in Berlin und Sachsen-Anhalt mit dem Rudelsingen unterwegs. Spezielle regionale Vorlieben hat er bislang nur in den neuen Bundesländern registriert: „Schlager wie ‚Jugendliebe‘ von Ute Freudenberg sind im Osten populär, im Westen kennen die nur wenige.“ Zu den Veranstaltungsorten gehören Stadthallen, Theater, Kulturzentren, Musikclubs oder manchmal auch Kirchen. Die Räume müssen eine bestimmte Größe haben, denn laut Rauterberg rechnet sich das Ganze nur, wenn mindestens 200 Eintrittskarten verkauft werden.

In Kassel sowie Göttingen und Braunschweig stimmen Jörg Hillmann (mit Gitarrenbegleitung) und Ingeborg Erler (an Trommeln und Percussion) auf der Bühne die Lieder beim Rudelsingen an, bei dem nach wie vor die Frauen in der Mehrheit sind. „Das ist wie Lagerfeuersingen, nur ohne Lagerfeuer“, beschreibt Erler die ausgelassene Stimmung.

Joachim Göres

Die nächsten Termine (Beginn jeweils 19.30 Uhr): Mozartsäle Hamburg (27. 5.), Jagdhofkeller Darmstadt (28. und 29. 5.), Sumpfblume Hameln (29. 5.), Aula am Planetenring Garbsen (29. 5.). www.rudelsingen.de

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