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Archiv-Artikel

Die Einsamkeit der Ex-Ministerin

Nordrhein-Westfalens grüne Noch-Umweltministerin Bärbel Höhn demonstriert gegen die Castoren – und bleibt doch in der Rolle der Politikerin isoliert

„Hier kommt keiner mehr rein oder raus“, tönt ein Polizist auf zu viel Adrenalin„Wir sind friedlich, was seid ihr“, kontern die Atomkraftgegner aus dem Kessel

AUS AHAUS und HEEKANDREAS WYPUTTA

Verloren steht Bärbel Höhn vor dem Ahauser Bahnhof auf der Straße. Pünktlich um sechs Uhr ist Nordrhein-Westfalens noch amtierende grüne Umweltministerin am Montagabend zur Demonstration gegen die bereits aus dem sächsischen Forschungsreaktor Rossendorf anrollenden Castor-Transporte erschienen – und bleibt doch allein. Unauffällig rücken die Menschen von der grünen Ikone ab. „Ich hab‘ Höhn diesmal nicht gewählt, und ich werde sie nie wieder wählen“, sagt eine Demonstrantin.

Hier im Münsterland, wo wieder kiloweise kernwaffenfähiges Uran 235 und hochgiftiges Plutonium ins Zwischenlager Ahaus rollen, wo die Urananreicherungsanlage im benachbarten Gronau massiv ausgebaut wird, sitzt die Wut auf die Grünen tief. Ein paar Meter weiter bekommt Höhn den Frust ab. „Ihnen geht es doch nur darum, ins Fernsehen zu kommen“, wirft Mechthild Jescher der Umweltministerin vor. „Jetzt, wo Sie die Wahl verloren haben, sind Sie wieder hier“, sagt der Techniker Thomas Lamers.

Höhn bleibt zunächst ruhig, lobt den rot-grünen Atomkonsens: Nur der habe dafür gesorgt, dass sieben Jahre keine Castoren nach Ahaus gerollt sind – schließlich seien an den noch immer laufenden Atommeilern dezentrale Zwischenlager errichtet worden. „Mehr war nicht durchsetzbar“, assistiert Rüdiger Sagel, atompolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion, seiner Ministerin. Wer die Grünen kritisiere, spalte nur die Anti-Atom-Bewegung. „Warum sind denn nur 500 Leute hier und nicht 10.000 wie vor sieben Jahren“, fragt Höhn. „Eine Unverschämtheit“, keilt die 48-jährige Lehrerin Jescher zurück. Höhn verliert endgültig die Fassung, spricht von einer „Mentalität wie bei der chinesischen KP“, die „auf Umerziehungslager“ setze – und läuft auf der Ahauser Bahnhofstraße der Anti-Atom-Demo hinterher.

Zwei Stunden später, die Ministerin ist in ihrem schwarzen Dienst-Audi abgerauscht, die Emotionen schlagen weniger hoch. „Das Höhn hier war, da zieh‘ ich meinen Hut vor“, meint der Ahauser Herbert Wenning. Die rund 650 Demonstranten sind quer durch Ahaus gezogen, blockieren die am Stadtrand liegende Kreuzung Schumacherring/Schöppinger Straße. „Wir bleiben hier“, meint Matthias Eickhoff von der Gruppe Widerstand gegen Atomanlagen aus Münster. Wie Felix Ruwe von der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ ist er sicher, dass die sechs LKW mit den Castoren hier durchkommen müssen: Die einzig mögliche dritte Route führt mitten durch das Zentrum des Nachbarorts Heek – viel zu auffällig für die Betreiber des Zwischenlagers Ahaus, die ihre strahlende und giftige Fracht am liebsten mitten in der Nacht in Empfang nehmen.

Die tote Zeit des Wartens beginnt. Frühestens in sieben Stunden dürfte der Transport in Ahaus sein, schätzen die Atomkraftgegner. Die Ahauser mit ihren schnieken Häusern, ihren akkurat gepflegten Vorgärten erweisen sich als Demo-Vollprofis. Nur Minuten später liegen Folien und Strohballen auf der Straße. Niemand muss auf dem nassen Asphalt blockieren. Aus den Lautsprechern dröhnen die Pogues, später spielt Klaus, der Geiger, am offenen Feuer Widerstandslieder. Im Küchenzelt mit Stromanschluss gibt es die ganze Nacht heißen Tee und Kaffee, nach Mitternacht wird Suppe und Lachs serviert.

Warum nicht mehr Menschen aus dem Münsterland gegen den Atommüll protestieren? Der Atomkraftgegner Florian Kollmann erzählt von der Realschule, „wo wir am Vormittag fast mit Gewalt vom Hof geworfen wurden“ – hier habe der Betreiber des Zwischenlagers den neuen Informatikraum bezahlt. „Wie damals die Schwimmhalle“, sagt Willi Heesters von der Wettringer Bürgerinitiative gegen Atomenergie. Michael Ziegler, Sprecher des Zwischenlagers und nebenbei im Kirchenvorstand der katholischen Gemeinde St. Mariä Himmelfahrt, habe sogar den atomkritischen Pfarrer Jürgen Quante beim Bischof angeschwärzt – weil er Laien predigen ließ, erzählt ein Mann in den Sechzigern. „Aber dann gab es einen Solidaritätsgottesdienst, da sind über 1.000 Leute gekommen.“

Die Zeit schleicht. Gegen Kälte, Regen und Müdigkeit helfen auch Tee und Kaffee kaum noch. Die Initiativen-Sprecher Ruwe und Eickhoff versorgen die Demonstranten mit immer neuen Wasserstandsmeldungen: Der Castor-LKW auf der Autobahn 44 vor Soest, am Kamener Kreuz, vor Bottrop auf der A2, kurz vor Ahaus. Die Polizei, seit Beginn mit mehreren Hundertschaften aus Köln, Bonn, Essen, Duisburg und dem Kreis Borken präsent, rückt noch näher.

Um 2.59 Uhr fordert ein Polizeilautsprecher die Räumung der Straße. Um 3.05 Uhr werden die Atomkraftgegner eingekesselt. „Hier kommt keiner mehr rein, keiner mehr raus“, tönt ein unter zu viel Adrenalin stehender Polizist und rempelt herum. „Sie sind räumlich beschränkt worden“, tönt der Lautsprecher – und klingt wie ein überfreundlicher Anrufbeantworter.

Danach werden die Blockierer aus dem Kessel getragen und „erkennungsdienstlich behandelt“. Auch der grüne Landtagsabgeordnete Sagel sitzt noch im Kessel, lässt sich herausführen. Initiativen-Sprecher Eickhoff aber wird nervös: Die Räumung dauert auffällig lange – dabei ist der Castor-Transport nur noch wenige Kilometer entfernt. Mit wenigen nicht im Kessel eingeschlossenen hastet Eickhoff zum drei Kilometer entfernten Zwischenlager, wo nur etwa 30 Demonstranten die Castoren erwarten.

Die Straße ist taghell erleuchtet, aus wenigen hundert Metern ist der Atommüll-Konvoi zu sehen: Sechs Atommüllbehälter rauschen durchs Tor, begleitet von Wasserwerfern und dutzenden Polizeiwagen. Ohne Vorwarnung, ohne Information der schlafenden Bevölkerung sind kiloweise kernwaffenfähiges Uran 235 und Plutonium mitten durch den Ortskern von Heek gerollt. „Das war eine spontane Entscheidung der Führung“, sagt Polizeisprecher Karsten Woltering. Ob die Ortsdurchfahrt legal war, weiß er nicht. Seine Kollegen räumen die letzten Blockierer ab, ziehen Demonstranten an den Haaren brutal in ihre VW-Busse. „Wir brauchen einfach mehr Leute auf der Straße“, sagt Atomkraftgegner Heesters. „Wir sind friedlich, was seid ihr“, skandieren die Demonstranten.