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Archiv-Artikel

Bei Mario daheim

Mario Gomez kennt jeder. Er ist Spanier, Schwabe und der teuerste Fußballspieler der Bundesliga. Er kommt aus Unlingen. Dort im Oberschwäbischen lieben alle ihren Super-Mario. Fast alle. Denn dort hat sich „der Mario“ einen Betonbunker auf die grüne Wiese gestellt, den viele Dorfbewohner scheußlich finden

Text Anna Hunger Fotos Martin Storz

Bürgermeister Richard Mück sammelt Autogrammkarten. Er hat sie alle, Gomez in Nationalmannschaftsweiß, in Bayernrot, stehend und jubelnd. Und weil jetzt wieder eine neue rausgekommen ist, wird er demnächst bei Mama Gomez klingeln und nachfragen, ob er einen kleinen Stapel davon haben kann. Sie wohnt quasi um die Ecke. Die Autogrammkarten hat Mück in einer Klarsichthülle verpackt, damit sie nicht schmutzig werden und er sie in seinen Mario-Gomez-Ordner einheften kann.

Richard Mück ist ein freundlicher Mann mit sauber geschnittenem Dreitagebart, Brille und einem dieser bürgermeisterlichen Anzüge, in denen Männer irgendwie leger, aber ordentlich aussehen. „Natürlich bin ich ein Fan!“, sagt er. Und sein Gesicht sagt: Wie kann man auch nicht Fan sein von „Super-Mario“, dem Meister-Stürmer mit der Rückennummer 33, gut aussehend, weltbekannt, gefürchtet; dem Typ, für den die Bayern mit 35 Millionen die höchste Ablöse in der Bundesligageschichte bezahlt haben; dem mit der traumhaften Torbilanz – 25 Bundesliga-Tore in dieser Saison. Er ist die Nummer zwei der Champions-League-Torschützenkönige. Nummer eins Messi, der Weltfußballer, Nummer zwei Gomez, der Unlinger.

Gomez war ein Jahr alt, als Richard Mück Bürgermeister von Unlingen wurde. Damals lebte Mario mit seiner Familie vom Rathaus gesehen rechts von der Hauptstraße. Ein paar Jahre später fing er beim SV Unlingen an, Fußball zu spielen. Mittlerweile spielt er beim FC Bayern München und in der Nationalmannschaft und hat sich und seiner Familie vor einiger Zeit ein eigenes Haus in den Ort gebaut. Eins, das die Unlinger entsetzt hat, diesmal links der Hauptstraße.

Bauernkrieg, Marie Antoinette und Mario Gomez

Seit 25 Jahren ist Richard Mück der Bürgermeister, Herr über das nachgewiesen fruchtbarste Storchenpaar Oberschwabens und 1.500 Unlinger, die 535 Meter über Normalnull leben, zwischen Riedlingen und Uttenweiler, Zwiefalten und Hausen am Bussen in der Nähe von Biberach an der Riss.

Historisch gesehen, ist Unlingen nicht mal so unbedeutend. Der Bauernkrieg hat dort angefangen, Marie Antoinette kam auf Brautfahrt durch den Ort, und danach hat dieses kleine Dorf einige große Persönlichkeiten hervorgebracht. Josef von Kopf, im 19. Jahrhundert Bildhauer an sämtlichen europäischen Königshäusern. Zacharias Andreas Winzler, der den Universal-Heiz-Leucht-Sud-Destillier- und Spar-Ofen erfand und damit die Basis für die zentrale Gasversorgung. Peter Münst, einen Zauberer, der schon für Gerhard Schröder zauberte und den Zirkus Roncalli. Und eben Mario Gomez, den 26-jährigen „TOR-ero“, Werbeträger für Boss, Puma und Red Bull, was übersetzt so viel heißt wie „männlich“, „sexy“, „cool“. Für ihn gibt es auf der Gemeinde-Homepage sogar einen eigenen Button.

Der Mario, sagen sie in Unlingen, „isch a Ohlinger“. Punkt. Wenn sie sich was wünschen dürften, dann, dass er im Fernsehen mal Oberschwäbisch spricht. „Aber dann versteht ihn ja keiner“, sagt einer am Stammtisch in einem dieser gemütlichen Gasthöfe mit Eckbank und Männern, die mit ihrem Weizen immer auf dem gleichen Platz sitzen. Die Unlinger sind sehr stolz auf ihren Fußballer. Für sie ist er „der Mario“ und wird immer einer von ihnen bleiben, völlig wurscht, wie prominent er ist.

Viele in der Gemeinde sind mit Mario verwandt

Die Unlinger lieben ihren Mario, das kann man ruhig so sagen. Wenn da nur dieser Bunker nicht wäre, den er ihnen in den Ort gebaut hat. Dieses umzäunte Gebäude, das ein bisschen an einen Hochsicherheitstrakt erinnert.

Die Alten haben mit den Großeltern Gomez spanisch-turbulente Straßenfeste gefeiert. Die Mittelalten haben den Bub aufwachsen sehen. Für die jungen Fußball-Männer im Ort ist er ein Vorbild, einer, der gezeigt hat, dass man nicht aus einem ligastarken Verein kommen muss, um mal etwas Großes zu werden. Für die kleinen Jungs ist er der Fußballgott, für dessen Bild sie alle Sammelkarten der Welt eintauschen würden und sich freuen wie kleine Schneekönige, wenn sie ihn mal zufällig auf der Straße treffen und sich persönlich ein Autogramm holen können. Und die Mädchen, ja, die Mädchen kichern und schämen sich ein bisschen, weil sie diesen großen Mann mit dem Schönheitsfleck auf der Backe schon ein bisschen gut finden. Es gibt jedenfalls keinen, der noch nie etwas von Mario Gomez gehört hat.

Viele in der kleinen Gemeinde sind sogar irgendwie mit ihm verwandt. In den 60ern kamen einige Gastarbeiter aus dem spanischen Dorf Albuñán, einem Ort, der noch viel kleiner ist als Unlingen, in dem viele Gomez heißen und an dessen Rändern schon die Sierra Nevada anfängt. Sie begannen in der Gärtnerei App am Unlinger Ortsrand zu arbeiten. Die Spanier haben in der Folge Unlinger geheiratet, Kinder bekommen, die wieder Kinder bekommen haben und Unlinger geheiratet haben, José Garcia Gomez, der Vater von Mario, Christa Roth, die Tochter einer der ältesten Familien im Ort. Und so gibt es heute in Unlingen Cousinen von Mario Gomez, Großcousins, Tanten, Onkel, ersten, zweiten und dritte Grades. Und wer nicht verwandt ist, kennt die Familie aus dem Kirchengemeinderat, vom Sportverein, vom Hundespaziergang, aus dem Tante-Emma-Laden oder weil sie sich die Wände von der Firma Gomez streichen lassen.

Mario Gomez ist ein ganz normaler Typ

Wenn man die Unlinger fragt, ob Mario Gomez etwas Besonderes sei, verneinen sie. Der einzige Unterschied zum Unlingen der Vor-Mario-Ära seien die Touristenbusse, die hier manchmal einen Abstecher zu Marios neuem grauen Haus machen, und der Umstand, dass Unlinger im Ausland nicht mehr sagen, sie kämen aus Riedlingen oder Biberach. Heute sagen sie: Wir kommen aus Unlingen, da, wo der Mario Gomez herkommt. Damit ist dann für gewöhnlich klar, dass Unlingen nicht einfach irgendein Kaff in Oberschwaben ist, sondern etwas Besonderes.

Der Mario, behaupten sie hartnäckig, sei halt der Mario und damit für alle hier ein ganz normaler Typ. Aber das stimmt so nicht ganz. Der halbe Ort verfolgt seine Karriere und sein Werden.

Als Gomez 2007 mit dem VfB die Meisterschale holte, haben sie ein Schild drucken lassen: „SV Unlingen gratuliert dem Deutschen Fußballmeister Mario Gomez“, gleich zweimal – einmal für den Ortseingang, einmal für den Ortsausgang, damit er es sieht, wenn er heimkommt, und damit alle, die hier durchfahren, wissen, dass das hier der Ort ist, an dem Mario Gomez, der beste Stürmer der Bundesliga, zu Hause ist.

Richard Mück hat damals extra ein Goldenes Buch der Gemeinde anlegen lassen. In altdeutscher Schrift steht da kunstvoll auf der ersten Seite: „Empfang mit und für Mario Gomez, Nationalspieler und Deutscher Fußballmeister 2007“. Sie haben ihn ins Rathaus eingeladen, da stand er dann in seinem feinen schwarzen Anzug mit blütenweißem Hemd unter den Dachbalken, braun gebrannt, durchtrainiert. Draußen standen die Fußballer des SV Unlingen Spalier, drinnen die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, Hans Petermann aus Riedlingen, Wolfgang Dahler aus Uttenweiler, drum herum eine Menge Spanier, viele Kinder und mittendrin Richard Mück. Stolz, als der Fußballer das große M für Mario in das frisch angelegte Buch malte.

Autogramme als Weihnachtsgeschenke

Damals war Gomez noch fast jedes Wochenende zu Hause, weil es von Stuttgart nicht so weit war wie heute von München und weil er damals auch noch nicht so wahnsinnig berühmt war. Da haben Eltern und Großeltern oft die Kinder und Enkel beim Gomez'schen Haus vorbeigeschickt, um Fußbälle signieren zu lassen oder Trikots. Die haben sie dann an Freunde und Familie als Weihnachtsgeschenke verteilt. Heute geht das nicht mehr so einfach, weil sich ihr Mario samt Familie mit seinem neuen Haus irgendwie eingemauert hat und kaum noch zu sehen ist vor lauter Sichtschutzzaun. Heute sehen sie ihn im Fernsehen oder im Stadion.

Walter Kästle zum Beispiel, ein gemütlicher Gas- und Heizungsmonteur und einer der größten Bayern-Fans am Ort. Er sitzt auf der Eckbank am Stammtisch ganz links. Kurz vor Weihnachten sei er im Stadion gewesen, Bayern – VfB, und so ein paar Stuttgarter haben jedes Mal gepfiffen, wenn Gomez den Ball hatte. „Ihr braucht gar nicht pfeifen“, hat er gesagt, „ohne den Mario wärt ihr nicht Meister geworden.“ Er erzählt, wie er mal von der Tribüne gewinkt hat, früher, als der Mario noch unbekannt über den Platz trabte und einer fragte, warum er denn diesem Kerl winke. Kästner sagte: „Der wird mal was werden.“ Seitdem horcht er immer, wenn einer was über Gomez erzählt, und wenn Walter Kästle findet, er könne etwas beitragen, mischt er sich ein und sagt: „Wenn ihr Fragen habt: Ich komm aus Unlingen und war mal der Nachbar von den Eltern von Mario Gomez.“

Klaus Roth ist der Cousin der Schwester von Mutter Gomez und erster Vorsitzender des SV Unlingen. Er steht im Vereinsheim. An der Wand über ihm hängt eine Gomez-Collage aus Fotos und Autogrammkarten, daneben das Trikot, in dem Mario Gomez sein erstes Länderspiel-Tor geschossen hat. „Das ist er“, sagt er und zeigt auf einem Foto an der Wand den Fünften von links, einen strahlenden Jungen, der stolz die Arme auf die Schultern seiner Mitspieler gelegt hat. Unter dem Bild steht „Saison 1997/98 D-Jugend“. Mini-Mario. Heute ist er Ehrenmitglied. Klaus Roth und seine Frau schauen sich jedes Gomez-Spiel an, und immer, wenn er ein Tor schießt, trinken sie ein Gläschen Sekt. Vor drei Jahren, Stuttgart gegen Wolfsburg, 4:1, seien sie ein bisschen beschwipst gewesen.

Sie mögen ihn trotzdem, aber dieses Haus …

Umliegende Vereine meinen, das neue Vereinsheim des SV sei auch von Gomez gesponsert, dabei war das alles selbst verdient, erzählt Roth. Und nicht mal das ist die eigentliche Unverschämtheit, sondern dass jemand unterstellt, die Unlinger seien scharf auf das Gomez'sche Vermögen.

Wenn es ums Geld geht, können sie sowieso richtig giftig werden. Kürzlich zum Beispiel war Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer da, weil die Unlinger seit 20 Jahren eine Umgehungsstraße haben wollen, das Land sie aber nicht bezuschusst. Ramsauer stand also auf dem Hof der Freiwilligen Feuerwehr und zeigte nach links auf das neue, seltsame Haus des Fußballstars. Er soll gesagt haben: „Wenn der Gomez ein Jahresgehalt spenden würde, könnten Sie Ihre Straße bauen.“ Einige haben gelacht, andere fanden den Spruch furchtbar blöd, weil es so unhöflich ist, über das Geld von Mario Gomez zu sprechen.

Bisher hat sich der Star nur einen einzigen Schnitzer geleistet. Klar, sie mögen ihn trotzdem und der tut auch der Zuneigung dieser Menschen nichts ab, jeder darf ja fast alles tun und lassen, was er möchte, vor allem Mario Gomez, aber irgendwie, na ja … Es geht um dieses neue, graue Haus an der Mühle.

Es sei sein Rückzugsort und seine Festung, schreibt er auf seiner Homepage.

Und das kann man durchaus wörtlich nehmen – sehr dunkles Mausgrau, in diesem eher hellbraunen, beigen Ort, eckig, als habe man einige graue Kästchen auf- und nebeneinandergestapelt, zwei Meter hoch farblich passend grau eingezäunt und mit einem Flachdach. Nur ein Gebäude hier hat ein Flachdach, erzählt der Bürgermeister. Das sei die Schule, und dieses Dach leckt. Deshalb bauen sie nur noch Giebeldächer, sieht ja auch besser aus. Aber das flüstern viele Unlinger nur, weil sie ihrem Lieblingsfußballer nicht zu nahe treten möchten, der aber dieses Ding an den Ortsrand gesetzt hat, das auch von weitem noch gut als irgendwie fehl am Platz zu erkennen ist. Ein Klotz in der grünen Wiese.

Gomez hat es auf dem Sahnestück von Unlingen gebaut, Südhanglage, das war sein Wunsch, direkt am Ortsrand, einer Fläche, um die einige Unlinger schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten herumgeschlichen sind, weil sie meinten, da könnte irgendwann mal der eigene Alterswohnsitz drauf stehen. Pustekuchen.

Hauptsache, er bleibt

Er habe mit seinem Haus die alte Mühle eingebaut, ein Fachwerkhaus, denkmalgeschützt, sagen manche. Man sehe ja nur noch das Dach, sagen andere. Ob man ein Denkmal so einbauen darf, fragen sich welche, und ob man die Mühle, wie im Mitteilungsblatt kürzlich angekündigt, einfach ausbauen dürfte, da gebe es doch bestimmt Auflagen zu erfüllen. Der Zuständige beim Regierungspräsidium Tübingen sagt wenig, er lacht nur wissend. Da laufe ein Verfahren, und deshalb dürfe er sich nicht äußern.

Gomez habe das Gebäude immerhin vor dem Zusammenbruch gerettet, sagt der Bürgermeister entschuldigend. „Kein Mensch hat sich um die Mühle gekümmert, und nun kommen da welche und meckern.“ Dabei finde er das Haus auch nicht gerade hübsch. Keiner in Unlingen findet es hübsch. Wenn es wenigstens eine andere Farbe hätte …

Für dieses Gebiet gebe es keinen Bebauungsplan, erklärt Bürgermeister Mück, aber es sei mit der Vorschrift belegt, die Gebäude „der Umgebung anzupassen“. Na ja, sagt der Bürgermeister, bei Mario Gomez könne man ja mal ein Auge zudrücken.

Denn egal, wo und worin Mario Gomez in Unlingen lebt, Hauptsache, er bleibt.