Gesellschaft: Alles super im Block!?
Es wird ernst mit dem Superblock im Stuttgarter Westen. Die Baustellen nehmen zu, die Malereien auf den Straßen ebenfalls, Nervosität liegt in der Luft. Und mittendrin lädt Kontext zur Diskussion ins Kulturzentrum Merlin.
Von Dietrich Heißenbüttel
Die Stadt Stuttgart warnt schon mal vor: „Bitte haben Sie Verständnis für evtl. Behinderungen“ kündigt sie auf Tafeln in der Augustenstraße den „Superblock West“ an. Falls das Lust machen soll auf den Verkehrsversuch, bleibt noch viel Luft nach oben. Ein kleines Plakat der Grünen versucht es so: „Neue Bäume, gute Luft, nette Leute“. Klingt schon besser. „Quartiere mit wenig Verkehr fördern die Lebensqualität“, heißt es weiter, „um die Augustenstraße herum entsteht ein solches Quartier“.
Seit Februar tut sich was in der Augustenstraße und in Querstraßen, auch in der Hermannstraße, wo die Kontext-Redaktion ihren Sitz hat. Große, quadratische Kästen in tristem Grau hat die Stadt aufgestellt für Bäume, die aus den Straßen noch nicht gleich Alleen machen. Aber wenigstens temporär schon mal zeigen, wie es sich anfühlt, wenn sich die Steinwüste ein wenig belebt. Langsam, von Woche zu Woche, ändert sich das Bild. Inzwischen haben die dünnen Besenstiele schon ein paar grüne Blätter.
Doch sonst wird es bunt. Als die ersten Flächen türkis eingefärbt sind, zeigen die Autofahrer noch Respekt und parken nach Möglichkeit nicht darauf. Eine Woche später hat sich offenbar herumgesprochen, dass es keine Knöllchen gibt – und alle türkisen Straßenrandbereiche sind zugeparkt. Nur Stadtmobil ist noch nicht da. Auf den Feldern, die an zwei Stellen in der Augustenstraße für den Carsharinganbieter reserviert sind, stehen noch keine Fahrzeuge.
Schluss mit lustig
Aber was ist das: Diagonal, mal in der einen, mal in der anderen Richtung, sind je zwei Straßenecken an jeder Kreuzung durch türkise Flächen verbunden. Ein Fahrradweg kann das nicht sein. Nein, umgekehrt: Es sind die asphaltgrauen Restflächen, die anzeigen, wo man noch fahren darf und zwar mit dem Auto: um die Ecke nämlich, nicht mehr geradeaus durch den ganzen Block. Wer genau hinsieht, erkennt: Da sind bereits Poller eingelassen. Irgendwann ist Schluss mit lustig, die Poller fahren hoch, und wer dann noch mit dem Auto in den Superblock einfährt, muss an der nächsten Ecke wieder hinaus.
Aber wo soll ich denn dann mein Auto hinstellen? Wer sich darüber Sorgen macht, kann entweder auf der Seite „Stuttgart meine Stadt“ in den Frequently Asked Questions nachsehen. Oder am 29. April, um 19.30 Uhr zur Kontext-Diskussion ins Merlin kommen und Baubürgermeister Peter Pätzold löchern. Er sagt, er freue sich schon darauf. Neben ihm sitzen Stadtplanerin Raquel Jaureguizar, die Superblock-Pionier Barcelona kennt und zur Zeit Projektleiterin der IBA 27 ist, Anwohner und Architekt Martin Schick sowie Geschäftsführerin Annette Loers vom Merlin als Vertreterin der Anwohnerinitiative zusammen mit Moderator Stefan Siller.
Die gefühlte Parkplatznot ist übrigens gar nicht so groß: Nur 17 von 750 legalen Parkplätzen entfallen, das sind 2,5 Prozent. Selbst in Spitzenzeiten waren bisher nur 97 Prozent der Parkplätze belegt. Bleibt also immer noch ein halbes Prozent frei: Das sind 3,75 Parkplätze.
In Barcelona ist es anders
Auf Bildern aus Barcelona, das den Superblock erfunden hat, sieht es ganz anders aus: alles, nur keine Autos. Hat die Autostadt Stuttgart das Konzept wieder mal nicht richtig kapiert? Über Barcelona kann am 29. April Raquel Jaureguizar Auskunft geben. Die IBA-Projektleiterin kennt das Barca-Projekt, das auch dort nicht ganz unumstritten ist.
Einige Argumente, die dort gegen den Superblock ins Feld geführt werden: Gentrifizierung durch Aufwertung der Wohnviertel oder wie der ehemalige „Titanic“-Chefredakteur, Leo Fischer, zum Frankfurter Versuch schreibt: Stadtviertel, „in denen das Leben grünt und die Kinder sorglos spielen, während außerhalb das übliche Elend herrscht“. Oder Preisspekulation mit steigenden Mieten? Gibt es mehr Unfälle durch E-Roller und Fahrradrowdys, keine signifikanten Auswirkungen auf die Luftverschmutzung, die eher von Kreuzfahrtschiffen und Flugzeugen ausgeht? In Barcelona heißt es, Pendler seien trotzdem aufs Auto angewiesen, da die öffentlichen Verkehrsmittel im Umland zu wünschen übrig ließen.
Letzteres ist in Stuttgart zumindest ähnlich: Was hilft es, wenn die nächste S-Bahn-Station in fünf Minuten erreichbar ist, wenn die S-Bahn wieder ausfällt? Diskutieren Sie mit! Uns interessiert, wie Sie den Superblock beurteilen,
Übrigens soll es bei der Augustenstraße nicht bleiben. Im Lehenviertel und am Stöckach sind bereits weitere Superblöcke geplant. Die CDU im Bezirksbeirat West hat gar vorgeschlagen, den ganzen Stadtteil in einen suprigen Block umzuwandeln. Bundesweit gibt es über 100 Initiativen in mindestens 27 Städten. Da kommt also noch was auf uns zu.
Alles super im Block!? Podiumsdiskussion am 29. April zum Superblock Augustenstraße
Mit Baubürgermeister Peter Pätzold, Stadtplanerin und IBA-Projektleiterin Raquel Jaureguízar, Annette Loers vom Merlin als Vertreterin der Anwohnerinitiative, Architekt und Anwohner Martin Schick und Moderator Stefan Siller. Folge zwei der Gesprächsreihe „Kontext im Merlin“. Beginn ist um 19.30 Uhr, Einlass ab 18.30 Uhr, im Kulturzentrum Merlin, Augustenstraße 72, Stuttgart-West. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen. (red)
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