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Archiv-Artikel

Tafeln für einen Euro

Im „Fünf Jahreszeiten“ bekommen Kinder für einen Euro ein Mittagessen serviert – weil ihre Eltern nicht kochen können oder nicht dazu kommen. Betrieben wird das Restaurant von der Berliner Tafel

VON JOHANNES GERNERT

Im „Fünf Jahreszeiten“ informiert eine schwarze Tafel neben der Theke über das Menü des Tages. Heute gibt es Salat mit Flammküchlein als Vorspeise, danach Senfeier und Kartoffeln, zuletzt Milchreis. Das Restaurant wird für gewöhnlich von einem sehr jungen Publikum besucht. Die Gäste sind nicht unbedingt besonders zahlungskräftig, aber das müssen sie auch nicht sein. Drei Gänge kosten einen Euro, ein Getränk inklusive. Manchmal rufen selbst treue Stammkunden angewidert: „Iieeehhh“. Vor allem, wenn es Gemüse gibt. Das mögen sie nicht.

Pi Lanka hat gelernt, damit umzugehen. Sie ist die Köchin im „Fünf Jahreszeiten“. Sie hat mal in Gourmetrestaurants gearbeitet. Vielleicht sagt sie auch deshalb ganz entschieden: „Ich würde das hier auf keinen Fall mit einer Suppenküche vergleichen.“

Das „Fünf Jahreszeiten“ soll ein Restaurant sein, auch wenn es sich mit dem täglichen Essensangebot an bedürftige Schüler richtet. Bedürftigkeit wiederum, sagt Petra-Maria Grohs-Frihs, ist nicht materiell gemeint. Auch Kinder, die zu wenig Zuwendung bekommen, sind im Restaurant der Berliner Tafel gern gesehen. Anders als bei den Ausgabestellen für Erwachsene, wo Sozialhilfebezug oder Arbeitslosigkeit nachgewiesen werden müssen, brauchen die jungen Kunden ihre Hilfsbedürftigkeit nicht zu dokumentieren. Damit würde man die Ärmeren unter ihnen nur unnötig stigmatisieren, sagt Grohs-Frihs, die bei der Berliner Tafel für das Kinder- und Jugendrestaurant zuständig ist.

Die Einrichtung gehört zur gelben Villa am Kreuzberger Mehringdamm. Hier werden Schüler am Nachmittag betreut, sie können spielen, basteln oder im Internet surfen. Und vorher gibt es im „Fünf Jahreszeiten“ etwas zu Essen. Manche kommen täglich, andere gelegentlich. Selin Celikkol isst oft fünfmal die Woche im Ein-Euro-Restaurant. Ihr Vater holt sie von der Schule ab und bringt sie her. „Weil ich nicht kochen kann“, sagt er. Und die Mutter arbeitet. Eigentlich müssen Erwachsene draußen bleiben. Aber für Ibrahim Celikkol machen sie hier eine Ausnahme. Aber er ist ein Einzelfall.

Häufiger kommt es vor, dass die Eltern keine Zeit haben oder überhaupt nicht zu Hause sind. Denis etwa hat sich, bevor das Restaurant vor gut einem Jahr aufgemacht hat, immer selbst um sein Mittagessen gekümmert. Es ist deshalb öfter ausgefallen. Jetzt stochert er im Salat. Eigentlich isst er hier gern. „Nur das Gemüse schmeckt manchmal ’n bisschen komisch“, sagt er. Mit dem Milchreis ist er zufrieden: „Voll lecker.“

Zwischendurch unterhält er sich ein bisschen mit Attila Burchhardt. Der Rentner ist einer von mehr als 40 Ehrenamtlichen, die im „Fünf Jahreszeiten“ helfen. Jeden Morgen werden in der Küche Pausebrote geschmiert. Danach gibt es Frühstück für die Schulklassen, die meist wochenweise in der gelben Villa zu Gast sind und verschiedene Projekte machen. Gegen Mittag kommen andere Klassen und die normale Kundschaft.

Die Nachfrage nach Frühstücksbeuteln steigt ständig, sagt Grohs-Frihs. Einer kostet 20 Cent. Drin sind ein Wurst- und ein Käsebrot, ein bisschen Obst und etwas zu Trinken. Oft erzählt man ihr, wie Kinder ohne Pausenbrot in den Unterricht geschickt werden. In einer Lichtenberger Schule, die vom Restaurant beliefert wird, kriegen drei Viertel der Eltern Sozialhilfe. Die haben sich so sehr über das preiswerte Angebot gefreut, dass sie die Bestellung gleich verdoppelt haben. „Bei so einer Resonanz hüpft einem das Herz“, sagt Pi Lanka, die Köchin.

Frühstücksbeutel gibt es allerdings nur von Dienstag bis Freitag. Montags müssen die Spenden, die in einem Kühlhaus der Berliner Tafel lagern, erst auftauen. Wenn man damit schon am Freitag anfinge, würden die Sachen zu lange ungekühlt liegen. Vieles bewegt sich stark aufs Verfallsdatum zu. Und Lanka möchte auf keinen Fall verdorbenes Essen anbieten. Die jungen Kunden sollen vor allem etwas Gesundes serviert bekommen. Das meiste Gemüse stammt aus biologischem Anbau.

Die Gerichte müssen ordentlich präsentiert werden, das ist auch wichtig. Ein einfacher gemischter Salat mit Soße drüber: „Essen sie nicht“, sagt Lanka. Ein bisschen Tomate hierhin drapiert, ein bisschen Paprika da, ein Tropfen Dressing dazu: „Essen sie eher.“ Sie will den Kindern „auch mal etwas anderes bieten, was sie normalerweise sonst nicht essen würden“. Hirsebuletten etwa, Teigtäschchen oder Fischfilets.

Bei manchen ist es nicht schwer, mit dem üblichen Speiseplan zu konkurrieren. „Was isst du denn zu Hause?“, hat sie öfter gefragt. „Brot“, haben einige geantwortet. „Du kannst doch nicht immer nur Brot essen“, hat Lanka gesagt. Sie schüttelt den Kopf. Die Eltern versteht sie nicht: „Entweder sie kennen es nicht anders. Oder sie können’s nicht bezahlen.“ Den einen Euro fürs „Fünf Jahreszeiten“ dagegen haben die meisten noch übrig.