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Die Untoten tragen Dirndl

„Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“: Julia Josts Debüt erzählt aus der Sicht eines Kindes vom Grauen der Haider-Jahre in Österreich

Von Uwe Mattheiß

Wenn die Gegend­ nur nicht so schön wäre! Julia Josts auto­fiktionale Annäherung an eine Kindheit auf dem Land in Österreichs südlichem, sonnigem, vor allem aber strukturschwachem Bundesland Kärnten streift schon mal blühende Blumenwiesen, erntereife Felder, plätschernde Flussläufe oder ein grasendes Rehkitz. Das bukolische Idyll hält nicht lange. Was wie ein Drohnenflug der österreichischen Tourismuswerbung durch das Kärntner Drautal anhebt, gerät schnell in Schieflage.

Barocke Wortlust lädt Metaphern auf, bis sie platzen, persifliert das Pathos heimatlichen Liedguts noch im „heiligen Trommeln“ eines Spechts. Von einer Brücke namens „Jungfernsprung“ stürzten sich einst Unglückliche und ungewollt Schwangere in die Tiefe. Der Wörthersee bewegt knarzend die Seebühne, ein mittlerweile abgerissenes Millionengrab lokalpolitischen Größenwahns mit 2.000 Sitzplätzen, nur der Refrain eines Schlagers aus dort abgehaltenen „Starnächten“ hallt noch kaum hörbar im Tal nach.

Eingerahmt wird das alles vom mächtigen Gebirgsmassiv. „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ verspricht kraftvolles Zubeißen. Die 1982 geborene Autorin kehrt in ihrem Romandebüt zurück an einen Ort des Staunens, Fürchtens und ersten Nicht-einverstanden-Seins. Es ist auch eine Rückkehr zur Literatur nach Bildhauereistudium und Theaterarbeiten „draußen in Deutschland“, wie die Sprache des Romans sagen würde. 2019 hatte sie den Kern der Erzählung beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt vorgetragen. Die nun erschienene Langfassung lädt zur Zeitreise ins toxische politische Klima Kärntens der 1990er Jahre, wo zwischen der Idiotie des Land­lebens und dem Einbruch der Moderne, zwischen Nazi-Nostalgie und neureichem Geschäftssinn das aufkommt, was man später Rechtspopulismus nennt und was nicht nur in Österreich lange Schatten wirft.

Wie in einer Gothic Novel

Schakaltal heißt der Ort der Handlung, nicht gerade subtile Anspielung an das Bärental, wo einst ein von der Arisierung profitierender Erbonkel dem FPÖ-Chef und zeitweiligen Landeshauptmann Jörg Haider ein profitables Forstgut vermacht hatte. Über alldem liegt zwischen Magie und Empirie die Wahrnehmungswelt einer Neunjährigen. In dieses Zwischenreich führt einen „Wald ohne Augen“, in dem die Äste sich hinter den Durchquerenden rasch wieder zusammenbiegen und „Todesangst verbreiten“. Drinnen herrscht tatsächlich die Atmosphäre einer Gothic Novel. Nur tragen die Untoten hier Dirndl und Trachtenanzüge, Geister wohnen allenfalls in Sliwowitzflaschen.

Ein Dirndl will die Ich-Erzählerin um keinen Preis anziehen, will kein „Mädale“ sein, was im Konsonanten verschluckenden, die Vokale breit modulierenden Kärntner Dialekt eher unangenehm klingt. Sie trägt die Haare kurz und die Jeans so auf den Hüften, dass im Schritt noch etwas Kleines reinpassen würde, hängt mit den Jungs ab und den älteren Brüdern, die die Haare lang tragen, geht fischen, erwischt einmal sogar beim Auswerfen der Angel ein Rotkehlchen, um den zufälligen Köder lebend aus den Eingeweiden eines Hechts herauszuschneiden.

Vor allem aber sitzt sie beim Versteckspiel unter einem Lastwagen, während Luca, ihr vorpubertärer Schwarm, die gleichaltrige Tochter von Geflüchteten, auf Bosnisch von hundert bis null zählt. Mit dem Kniff dieser Oskar-Matzerath-Perspektive erzählt Julia Jost Familien- und Dorfgeschichten im assoziativen Schnelldurchlauf – vor, zurück und alle auf einmal. Der Großvater ging als Forstarbeiter ins „Reich“, kam nach dem „Anschluss“ 1938 mit Heideggers „Sein und Zeit“ im Gepäck wieder, klingt ja auch fast wie „Volk ohne Raum“. Ob die Lektüre dazu beitrug, dass er sich später einsam erhängte, bleibt offen. Auch eine Generation später ist man hier deutscher als die „Deitschn“, die im Sommer krebsrot am Badesee liegen. SS-Ehrendolch und Großer Ariernachweis haben noch immer ihren Platz im Devotionalienkeller und in der guten Stube.

Julia Jost: „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“. Suhrkamp, Berlin 2024. 231 Seiten, 24 Euro

Man gehört nicht gerade zu den Modernisierungsverlierern. Mutter arbeitet sich aus der Wirtshausküche zur Hauswirtschaftslehrerin hoch. Vater tut sich mit dem Jörg Haider nachahmenden Bürgermeister zusammen, ehrt in Krumpendorf die SS-Veteranen und verkauft über die neuen Partei- und Oligarchenverbindungen massenweise Lkws nach Serbien und Russland. Bevor eine aufkommende queere Identität mit völkischem Horror über Kreuz gerät, ist der Spuk schon vorbei. Die Familie zieht in die Stadt. Als Schlussakkord zertrümmert der Vater noch in einem nicht näher motivierten Wutausbruch Mobiliar auf dem nagelneuen Mercedes.

Julia Jost setzt die Tradition einer österreichischen Anti-Heimatliteratur fort. Aber sie tut das in der Sicht einer Generation der Davongekommenen. Sie kann spotten über die ökonomische, intellektuelle und emotionale Dürftigkeit des Landlebens, die eine halbe Generation zuvor noch Biografien nachhaltig beschädigte. Es bleiben Anek­doten, wie sie beinahe jeder kennt, der familiäre Wurzeln im ländlichen Raum hat. Rechter Stumpfsinn bleibt nicht nur österreichische Folklore.

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