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Was nicht ausgesprochen werden darf

Die unzensierte Neuverfilmung von „Der Meister und Margarita“ sorgt in Moskau für Zuschauerrekorde

Von Katja Kollmann

August Diehl sitzt auf einer Bank in einem konstruktivistischen Fantasie-Moskau und blickt mit einem dämonischen Lächeln auf die Straßenbahngleise gegenüber. Der deutsche Schauspieler Diehl spielt in Michail Lokshins Neuverfilmung des Romanklassikers „Der Meister und Margarita“ die Hauptfigur Voland, und der weiß, dass dort Berlioz, eine weitere Figur, den Tod finden wird. Eine Schlüsselszene im Meisterwerk des Schriftstellers Michail Bulgakow. Goethes Mephisto stand Pate, als Bulgakow in den 1930er Jahren den Teufel in Gestalt eines Ausländers skizzierte.

Ende Januar ist in Russland Michail Lokshins Film in die Kinos gekommen, schoss sofort auf Platz eins bei den Besucherzahlen und wurde gleichzeitig aber auch zum Politikum. Man geht ins Kino, weil in diesem unzensierten Film, der den stalinschen Repressionsapparat zeigt, wie er sich gegen einen Schriftsteller wendet, straffrei zu hören ist, was sonst gegenwärtig nicht ausgesprochen werden kann. Zugleich gibt es in Russland von rechter Seite auch Kritik am Film.

In den ultranationalistischen „Z-Kanälen“ auf der Plattform Telegram regt man sich über die „negative“ Darstellung des NKWD-Geheimpolizei-Personals im Film auf. Man teilt ­einen Facebook-Post von Lok­shin, in dem der Regisseur sich gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine ausspricht und Putins Regime mit dem NS-Regime vergleicht. Man bezeichnet ihn als russophob, als Volksfeind und Verräter und fordert, ihn vor ein Gericht zu stellen. Zweite Angriffsfläche ist das Kulturministerium, der „Fonds Kino“, der (vor Beginn des Krieges) staatliche Fördergelder bewilligt hat.

Michail Lokshin hält sich derweil in sicherer Distanz, in den USA, auf. Er ist US-amerikanischer Staatsbürger. Sein Vater Arnold Lokshin siedelte Mitte der 80er Jahre mit seiner Familie aus den USA in die UdSSR über. Als Kommunist. Der Regisseur war damals fünf Jahre alt. Er hat den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen, der Putins Kriegstreiben vorbehaltlos unterstützt. Auch ein Teil der Filmcrew des 2021 gedrehten Films befürwortet den Krieg.

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