berliner szenen: Die Guten und die Schlechten
Gestern gesellte ich mich in die lange Schlange der Postbankfiliale in der Schöneberger Hauptstraße. Ich hätte noch eine ältere Frau überholen können auf dem Weg zum Ende der Schlange, ließ es aber sein. Plötzlich rief eine jüngere Frau, in Richtung der Schlange: „Sie haben Ihr Geld am Automaten vergessen!“ Dabei wedelte sie mit drei Fünfzig-Euro-Scheinen. Kurz reagierte niemand, alle schauten nur irritiert zu der Frau mit den Scheinen in der Hand, als sich die ältere Frau vor mir in der Schlange plötzlich an den Kopf fasste und irgendwas vor sich hin murmelte.
Dann lief sie zur Frau mit den Scheinen und nahm sie kommentarlos entgegen. „Sind Sie nicht froh, dass ich die Scheine für Sie gerettet habe?“, fragte die jüngere Frau, die ein Dankeschön erwartete. Die ältere Frau bedankte sich dann auch und reihte sich wieder in die Schlange.
Nach etwa einer Minute drehte sie sich zu mir um und sagte: „Wie konnte mir das denn eben passieren?“ Ich meinte, dass es ja schön wäre, dass es noch nette Menschen geben würde, die die Scheine nicht einfach selbst einstecken. „Das stimmt. Aber nett sind nicht alle“, antwortete die Frau. Dann erzählte sie mir, dass ihr erst vor ein paar Wochen der Geldbeutel in einem Supermarkt geklaut wurde. „Gleich hier auf der Hauptstraße!“ Sie erzählte: „Ich hatte einen kleinen Geldbeutel in meiner Potasche. Und als ich an der Kasse zahlen wollte, war der Geldbeutel einfach weg.“ Seither trage sie immer ihr Geld vorne in einer Bauchtasche, erzählte sie und zeigte auf ihre Tasche. „Na ja, immerhin sind solche Bauchtaschen gerade in Mode“, meinte ich, um sie ein bisschen aufzumuntern – vielleicht aber auch, um mich ein bisschen aufzumuntern. Eben dachte ich, es gibt auch noch gute Menschen. Und dann auch wieder nicht.
Eva Müller-Foell
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