das wird: Mit dem Hund rausgehen ist doch auch schön
Im Lockdown hat Martina Burandt die Wirklichkeit als neu wiederentdeckt – und ein treffendes Buch daraus gemacht
Von Benno Schirrmeister
Gibt es Alltag? Nur als Illusion, lautet die Antwort, die Martina Burandt darauf gefunden hat. Ihre poetischen Aufzeichnungen mit dem Titel „Mich hat niemand gefragt“ stammen aus der Coronazeit: „Jeder Tag ist ja tatsächlich ein einzigartiger Tag“, schreibt die Bremer Autorin schlicht, „und bringt mir neue Aufgaben, auch wenn ich mir mit meinen Routinen oft etwas anderes vorgaukle.“
Und dann lässt sie, wie um die Einsicht wieder umzuwerfen, unmittelbar eine Reihe ultragewöhnlicher Routinen folgen: „Ich stelle das Radio aus, räume den Frühstückstisch ab und ziehe Parka und wasserfeste Schuhe an. Ich fülle den Futternapf mit Trockenfutter.“ Und: „Das Klickern des Futters in den Metallnapf lockt unseren alten Hund unter meinem Schreibtisch hervor. Ich leine ihn an und schon geht es raus.“
Der selbstauferlegte Zwang, auch auf diese als Alltag sonst aus dem Bewusstsein verbannten Tätigkeiten zu schauen, ermöglicht es, über die Prosa der Welt zu staunen. Und dank seiner lässt es sich mindestens besser ertragen, in Bremen mit dem Hund rausgehen zu müssen, statt, wie geplant, am Lago Maggiore mit Freunden Geburtstag zu feiern. Die Kunst einer kunstlosen Kreativität erlaubt, die durch die Pandemie zweifelhaft gewordene Wirklichkeit als neu wiederzuentdecken. Man muss nicht Maurice Merleau-Ponty heißen, um sich darüber zu freuen.
Weder Welterklärung noch Larmoyanz
Lesungen: So, 3. 3., Michaeliszentrum, Bremerhaven;
So, 10. 3., Forum Kirche, Hollerallee, Bremen, jeweils 16 Uhr
Martina Burandt: „Mich hat niemand gefragt“, Omnino-Verlag, Berlin 2023, 132 S., 16 Euro
Es gibt viele Bücher, in denen die Covid-Zeit reflektiert wird. Oft haben sie Welterklärthesen im Angebot, manchmal Larmoyanz. Ihr phänomenologischer Ansatz bewahrt Burandt vor beidem. Um sich dafür nicht dem monotonen Rhythmus eines Tagebuchs beugen zu müssen, hat sie sich lose orientiert an Christa Wolfs „Ein Tag im Jahr“: Das Opus dokumentiert auf 700 Seiten ohne rhetorische Sperenzchen jeweils den 27. September – von 1960 bis 2000. Burandt greift diese Regel auf, um sie zu kassieren: Herausgehoben wird zwar zwei Jahre lang zu jeder der vier Jahreszeiten je ein Tag. Aber welcher? Egal! Es gibt Zusatztexte und es sind Gedichte eingestreut, in denen leider der Schnee sanft fällt und die Welt leiser wird.
Die mutwillig verwilderte Form ist eine Stärke des Buchs: Sie passt zum Haarwachstum und der entspannt-verwahrlosten Homeoffice-Atmosphäre. In der sind harte, sehr leibliche Erinnerungen möglich und desillusionierte Szenen mit schmerzhaft treffenden Sprachbildern, etwa, wenn, ganz beiläufig, das Ich „erschöpft und wie durch eine Nudelmaschine gezogen“ zu Hause ankommt. Und du so, lesend: Kenn’ich, das Gefühl.
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