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Archiv-Artikel

Der nette Mann von nebenan

INDIEROCK Comedian oder Rocker, egal: Olli Schulz trägt erotische Gedichte an der Wursttheke vor, steht für eine ZDFneo-Show betrunken am roten Teppich und singt gleichzeitig tiefsinnige Lieder über den Alltag

Wie ein netter Nachbar, den man abends bei den Mülltonnen trifft

VON BIRK GRÜLING

Singer/Songwriter in einem gesetzten Alter sind im Allgemeinen sehr dankbare Interviewpartner. In ihrer Karriere habe sie schon Hunderte Interviewtage hinter sich gebracht, Jahrzehnte lang Fragen zu ihren Karriereanfängen beantwortet und immer wieder bereitwillig ihre Songtexte erklärt. Sie wissen genau, welche Anekdoten Journalisten und Leser lieben und welche platten Phrasen man den Newcomern überlassen darf.

Einer dieser großen Sympathen der deutschen Poplandschaft ist ohne Frage Olli Schulz. Mit seinem etwas zu kurzen Anzug, den leicht angegrauten Haaren und dem vertrauensstiftenden Bäuchlein begrüßt der gebürtige Hamburger an diesem Tag seine Interviewpartner, flachst mit der PR-Dame und streichelt den Labelhund. Wenn er dann noch Sätze sagt wie: „Natürlich mache ich auch viele Dinge richtig, nur meistens zu einem Zeitpunkt, an dem sie gar nicht nötig wären. Sind sie dann nötig, versaubeutle ich es oft“ – man möchte jede journalistische Distanz fallen lassen und den Olli mal kurz drücken.

Genau diese augenscheinliche Alltäglichkeit schätzen auch die Fans an dem Wahl-Berliner. Er wirkt immer wie ein netter Nachbar, den man abends bei den Mülltonnen trifft und mit dem man kurz über das Wetter spricht – immer freundlich und immer eine Anekdote in der Hinterhand, für den Fall, dass sich das Gegenüber die Zeit nimmt.

So besticht auch sein gerade erschienenes aktuelles Album „S.O.S. – Save Olli Schulz“ eher mit einer musikalischen Anhäufung von Alltag als mit großen Hits. Einen roten Faden oder gar Grundtenor sucht man in dieser musikalischen Kurzgeschichtensammlung vergeblich. Jedes Lied hat vielmehr eine ganz und gar unaufdringliche Daseinsberechtigung.

„Wenn ich eine Idee habe, nehme ich sie auf – ein echtes Konzept steckt da meistens nicht hinter. Ich bin einfach Songwriter und schreibe über meine Umgebung – den virulenten Verfall des Parlamentarismus in Italien anzuprangern, wäre nicht so mein Fall“, erklärt Olli Schulz. Mit dieser angenehmen Belanglosigkeit plaudert der Songwriter lieber über die tragische Liebe von Spielerfrauen oder den Aufstieg und Fall von jungen Rockstars. Geschichten, die fast immer zwischen Tragik und Komik schwanken und sich dabei fast ebenso schlecht eindimensional begreifen lassen wie ihr Erzähler selbst.

Andere Musiker wären nach dem Vorlesen von erotischen Gedichten an der Wursttheke oder dem sich betrinken vor laufender Kamera schon längst als Blödelbarden abgestempelt worden. Olli Schulz dagegen wird für seine Gradwanderung noch verehrt. „Der ist Comedian oder der ist Rocker – solche Kategorien braucht doch niemand“, schüttelt der gebürtige Hamburger den Kopf. Wild nickend möchte man ihn jetzt auf die Schulter klopfen und heimlich die Daumen drücken, dass es noch lange solche unperfekten Typen in Musiklandschaft gibt.

Wie viel Erotik und wie viel Musik in einem Olli Schulz-Konzert steckt, kann man am Freitag ganz unverstärkt in der Großen Freiheit erleben.

■ Fr, 20. 4., 20 Uhr, Große Freiheit 36, ebenda