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Archiv-Artikel

Dem Zuschauer zuschauen

Das Symposium „Politik der Vorstellung“ diskutiert im Schauspielhaus Bochum auch die Politik des Theaters

Theater und Politik – da wissen wir, worum es geht! Wir denken an die politische Kunst der antiken Tragödie, an blutige Historien und listenreiche Germanenfürsten. Oder an didaktische Experimente – entrümpelte Kulissen und das Theater als politisches Labor. Was immer man uns vorführt – „Stellvertreter“ oder Stalin-Monologe: betritt die Politik die Bühne, dreht sich alles um ein einziges Thema: Herren und Knechte in Zänken und Ränken, erdrückende Verhältnisse und schöne Revolten. Was passiert aber, wenn man im Theater einmal nicht mehr belehrt oder belustigt dem Gepolter auf der Theaterszene zuschauen möchte und einmal nach der eigentümlichen Macht dieser Bühne fragt? Das Theater – eine Macht? Unter dem scharfsinnigen Blick von Theater- und Kulturwissenschaftlern allzumal. Wie aber funktioniert diese Macht?

Das Bochumer Schauspielhaus und das theaterwissenschaftliche Institut der Bochumer RuhrUniversität luden mit dem Siemens „artsprogram“ zu dieser Frage ein. Das Symposium „Politik der Vorstellung“ will bis heute in Form von Vorträgen und Performances dem Theaterbesucher beim Zuschauen zuschauen und so die „Verfasstheit des Mediums Theater“ aufschlüsseln.

Der Eröffnungsvortrag des Bochumer Dramaturgen Thomas Oberender machte daher gleich die „hegemoniale Steuerung“ von Kunstwerken zum Problem. Immer sei unsere Wahrnehmung von Kunst in Strategien verwickelt, die Denken und Vorstellen leiten sollen. Nach Oberender reflektieren solche Praktiken ihre politischen und sozialen Umwelten. So diktierten einst souveräne Autoren klassische Dramen, wie Könige Gesetze erließen. Mit ihrem szenischen Spiel illustrierten gehorsame Theaterdiener dann den Sinn der wohlgesetzten Worte. Zuschauer hörten untertänigst zu und wurden – moralisiert. Im zeitgenössischen Theater sei jedoch Schluss damit, denn auch hier gelten plötzlich neue Spielregeln. In der Wirtschaft hat man Hierarchien abgetragen. Kreative Ich-AGs manövrieren mit Phantasie und Engagement zwischen Risiko und Rendite. Auch die Theatermacher können jetzt das Bühnengeschehen nicht mehr einfach nach der Partitur eines Textes „dirigieren“. Das alte Theater wird zu einem Spielfeld „unsouveräner Akteure“, die von nun an ihre „Wetware“, ihre eigenen geistigen und imaginativen „Ressourcen“, investieren müssen. Im geebneten Austausch zwischen Bühne und Parkett spielt ab sofort ein „drittes Element“ mit. Oberender sprach von der szenischen „Verflüssigung des Sehens“ und von seinem Traum von der „Wirklichkeitswerdung des Gespielten“ – Stichworte, die das „Drama der Wahrnehmung“ zwar nur einkreisten. Ihre Neugier auf Eva Meyer-Kellers anschließende abgründig-witzige Performance „Death is Certain“ ließen sich die äußerst zahlreichen Besucher dadurch nicht nehmen.

Am Freitagvormittag widmeten sich Al Goergen (Mailand) und Nikolaus Müller-Schöll (Bochum) den Details des Projekts und vertieften die Thesen vom Kompliziert werden unserer Theaterwahrnehmung im Zeitalter der New Economy. Goergen spürte der „Gewalt“ nach, welche die alltäglichen Ordnungen unserer Vorstellungswelt strukturiert. Bühnenereignisse erlauben dagegen dem Zuschauer, die Inszeniertheit des Geschehens mit wahrzunehmen. Sie seien „Ausnahmezustände“. An diese These anschließend enttarnte Müller-Schöll mit klugen Argumenten das politische Theater, wie wir es zu kennen glauben und führte proto-totalitäre Züge in den Theaterästhetiken Rolf Hochhuts und seines Vorläufers Friedrich Schiller vor.

Mit diesen ersten Beiträgen bewegt sich das Symposium auf einem Niveau des öffentlichen Nachdenkens über theatralische Politik, das den Streit um Werktreue und Regietheater, wie ihn jüngst noch Bundestags- und Bundespräsident auf der Berliner Großbühne ausfochten, als biederen Anachronismus erscheinen lässt. In Bochum jedenfalls diskutiert man wieder einmal in Augenhöhe mit den zeitgenössischen Strömungen der Kulturwissenschaften. Im glücklichsten Fall konterkarieren solche Debatten nicht nur peinliche Präsidenten-Zänke, sondern auch die sich oftmals in aufgebauschter Buntheit verlierenden kreativen Prozesse vieler großer und kleiner Bühnen. Dass man an Bochums „großer“ Bühne auch in Zukunft über komplizierte Strategien diskutiert, bleibt zu hoffen. TOBIAS KOTH

Ab 10:30 UhrSchauspielhaus Bochum, Malersaal II