kritisch gesehen: „fragile wunder“ von paolo pellegrin im kunstverein wolfsburg: Ein Kriegsreporter sucht die Transzendenz
Fotoreporter Paolo Pellegrin, 1964 in Rom geboren, hatte um den Jahreswechsel 2019/20 eine umfangreiche Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen. Dort lag der Schwerpunkt auf seiner Kriegsberichterstattung, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. So erhielt das Vollmitglied der Fotografenagentur Magnum 2007 die Robert-Capa-Gold-Medaille des „Overseas Press Club“, mit der Reportagen aus Krisengebieten geehrt werden.
Während seiner internationalen Kriegseinsätze erkannte Pellegrin eine andere, fundamentale wie globale Gefahr: den Klimawandel, das Artensterben und die weitreichende Verwüstung der Erde durch den Menschen. Bildergebnissen dieses Werkkomplexes gilt nun eine Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg, die unter dem Titel „Fragile Wunder“ aber nun keinesfalls apokalyptisch rüberkommen möchte. Ganz in Gegenteil: eine Ästhetisierung, mitunter nah am sentimentalen Pathos, zeichnet die Bildserien und auch einige wenige Videos aus. Das Anliegen Pellegrins ist stets mit faktenreichen Begleittexten untermauert.
So widmete er sich in einer frühen Serie, 2013 in Wezow lokalisiert, dem Braunkohletagebau in der Niederlausitz. Neun Schwarz-Weiß-Panoramen monumentalisieren die gigantischen Maschinen, die damals eingesetzt wurden, um in der Region jährlich 20 Millionen Tonnen des Energieträgers zu fördern – und die Mondlandschaften hinterließen. 2020 interessierten Pellegrin dann die Relikte der Buschbrände in Australien. Verkohlte Baustümpfe oder das Skelett eines wohl in den Flammen umgekommenen Kängurus hängen als großformatige Menetekel an den Wänden.
Pellegrin scheint unermüdlich in allen Weltgegenden unterwegs, um zu fotografieren, fast möchte man ihn beneiden. So porträtierte er im vergangenen Jahr die beiden letzten Exemplare des nördlichen Breitmaulnashorns in Kenia, Mutter und Tochter, dessen Aussterben damit besiegelt ist. Eine üppige Flora spürte er 2022 in den Schutzgebieten Costa Ricas auf.
In Mexiko waren es 2019 Kakteen gewesen, wohl des Nachts per Blitz und, eher die Ausnahme, in Farbe abgelichtet. Eine gut sieben Meter lange Montage aus 2.478 kleinen Fotos zeigt 2017 Texturen der Antarktis. Und in einem 2021 in Island aufgenommenen Video schäumt das wild aufbrausende Meer an der Halbinsel Reykjanes: in Zeitlupe elegisch verzögert, einzelne dunkle Felsen wie sprichwörtlich in der tosenden Brandung.
Ausstellung „Paolo Pellegrin. Fragile Wunder“, bis 26. 5., Kunstmuseum Wolfsburg
Nach der Kriegsfotografie mag die Natur, selbst die brutal zerstörte, Tröstendes bieten. Aber was mag der innere Antrieb für diese Art der Motivinszenierung sein? Paolo Pellegrin ist da sehr offen. Er suche nach Transzendenz, erklärt er, und vertrete durchaus eine „romantische Vorstellung des Erhabenen“. Wie wohltuend, dass der Rundgang derzeit in der leer geräumten Haupthalle des Museums endet, wo am 25. Mai das Festprogramm zum 30-jährigen Bestehen des Hauses steigt.
Bettina Maria Brosowsky
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