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Archiv-Artikel

Die Starfabrik aus Altona

TALENTE Viele Kinder träumen davon, ein Filmstar zu werden. In einer Hamburger Schauspielschule können sie die ersten Schritte tun – einige haben es schon geschafft

„Hier sollen junge Menschen zickig sein und Wutausbrüche austoben“

Hella Peperkorn, Schulleiterin

VON TIMO ROBBEN

In dem zu Ostern ausgestrahlten Doppel-Tatort lag sie gefesselt auf einem pinken Laken, auf einem Bett, das mitten in einem kahlen Raum stand: Lotte Flack, die 18-jährige Schauspielerin aus Hamburg, spielte in dem Fernseh-Zweiteiler die Rolle der entführten Anna, die einem Psychopathen ins Netz gerät. Eine Paraderolle für Flack, doch bis in das Bett mit dem pinken Laken war es ein langer Weg. Begonnen hat er in Altona.

Hella Peperkorn gab dem jungen Mädchen die ersten Unterrichtsstunden. „Die Neue! Schlacksig, mit einem dicken unendlich langen Zopf und einem umwerfend frechen Lachen“, sagt die künstlerische Leiterin der Schauspielschule Task. Damals sei Lotte neun Jahre alt gewesen. „Ein Powerwesen mit schauspielerischem Talent“, sagt Peperkorn.

Die Task-Schauspielschule gibt es seit 15 Jahren. Auch ihre Geschichte begann in Altona – mit rund 80 Kindern. Inzwischen gibt es die Task-Schauspielschulen in ganz Deutschland von Kiel über Berlin bis nach München. Der größte Standort mit 300 SchülerInnen ist in Hamburg-Altona, dort sitzt auch die Zentrale.

Die Kinder aus der Schauspielschule haben jahrelang die Rollen der NDR-Kinderserie „Die Pfefferkörner“ besetzt. Einer schaffte es sogar nach Hollywood – an die Seite Johnny Depps in dem Film „Charlie und die Schokoladenfabrik“.

„Wir produzieren nicht noch mehr arbeitslose Schauspieler, sondern machen die Kinder fit für das Leben“, sagt die künstlerische Leiterin. Geschult würden „Skills“, die in der heutigen Gesellschaft unabdingbar seien. „Wenn die Kinder hier rauskommen, dann ist es für die kein Problem mehr, vor einer großen Gruppe zu sprechen.“ Die Unterrichtsmethoden entwickelt Peperkorn zusammen mit 15 DozentInnen.

„Das Ausbildungskonzept steht auf drei Säulen: Tanz, Theater und Motopädie“, erklärt die Leiterin. Motopädie verknüpft die Psyche mit der Bewegung. Viele Kinder hätten kein Gefühl für ihren Körper. Die Schauspielschule versucht, dieses Gefühl durch den Tanz zu wecken. „Hier sollen junge Menschen zickig sein und Wutausbrüche austoben. Alles das, was in der richtigen Welt verboten ist“, sagt Peperkorn.

Und genau das passiert in den Unterrichtsstunden: Sheeba und Lena sind stinksauer. Ailina soll den Jungen geküsst haben, in den Lena schon seit zwei Jahren verknallt ist – die Beschuldigte bricht in Tränen aus. Dann stößt Amy dazu: „Ihr glaubt nicht, was passiert ist“, sagt sie mit hoher Stimme. „Tyler ist mein Austauschschüler“, die Mädchen kreischen und fallen sich in die Arme.

Es ist eine improvisierte Szene, die Dozentin Lena Münchow startet und beendet die Improvisation mit einem Klatschen. Beim Aufwärmen – Pädagogen nennen das „Warm-up“ – sagt sie Sachen wie: „Jetzt seid ihr eine Hummel“, dann macht die 30-Jährige einen Buckel und rennt auf ihren Rutschsocken ihrer Nase hinterher. „Ihr wollt alles riechen“, schreit sie.

Die Mädchen gucken sich erst fragend an, dann rennen sechs junge Frauen durch den hellen Übungsraum, rutschen mit ihren Socken über das Laminat und rempeln sich gegenseitig an. Den Soundtrack dazu liefern zig Geiger, die in einem irrsinnigen Tempo spielen. Natürlich nicht in persona, die Musik kommt aus einem großen Ghettoblaster.

Münchow „arbeitet total gern mit Kindern“. Die Schauspielerin kommt aus der Praxis, unterrichten tut sie nebenbei. „Die Kinder kommen und man denkt ‚Woaa, sind die schüchtern‘. Und dann tauen die so schnell auf“, sagt Münchow.

Carlotta, das blonde Mädchen, das vor fünf Minuten noch eine Hummel war, kommt aus Ahrensburg. Wenn sie mit der Schule fertig ist, möchte sie auf eine der großen Schauspielschulen gehen. „Die Konkurrenz ist zwar hart. Aber durch die Task steigen ja meine Chancen“, sagt die 16-Jährige und klimpert mit den geschminkten Lidern.

Das Mindestalter für die Schauspielschule ist sechs Jahre. In dem Alter gehe die Initiative von den Eltern aus. „Wenn wir merken, dass das Kind keine Lust hat, dann suchen wir sofort das Gespräch mit den Eltern“, sagt Peperkorn. Auch sorge man dafür, dass alle Schichten vertreten sind. Für 75 Euro im Monat kriegen die Kinder eineinhalb Stunden Unterricht pro Woche. „Wir wollen nicht nur die Kinder aus Blankenese hier haben“, sagt Peperkorn, „sondern auch die von der anderen Elbseite.“