berliner szenen: Marek, der neue Paketbote
Unausgeschlafen nach einer mondhellen Nacht rühre ich in meinem zweiten Kaffee, da klingelt es an der Tür. Ich schlurfe zur Gegensprechanlage. „Hallo?„Zögerlich und sehr höflich meldet sich eine junge Männerstimme: „Ja, guten Tag, entschuldigen Sie bitte die Störung, mein Name ist Marek und ich bin Paketzusteller. Leider muss ich sagen, dass Ihre Nachbarn nicht zu Hause sind, deshalb bin ich auf der Suche nach jemandem, der ein Paket für sie annimmt. Vielleicht, so dachte ich, würden Sie das tun?“ Wow. So viel Text am frühen Morgen.
„Es ist auch nur ein ganz kleines Paket!“, ergänzt er, ich betätige den Summer und betrachte den jungen, schlaksigen Mann in Gelb, der die Treppe hochkommt. Marek strahlt übers ganze schüchterne Gesicht und präsentiert mir aufgeregt das besagte Paket, indem er es behutsam auf den Handflächen vor sich hält. Es ist für die Nachbarn aus dem ersten Stock. Wir wohnen im vierten. Marek muss noch viel lernen.
Er guckt so stolz, ich muss den Impuls unterdrücken, ihm zu gratulieren. So wie man einem Kind beibringt: Sei schön vorsichtig, wenn es an der Tür klingelt, so möchte ich Marek sagen: Sei schön vorsichtig, wenn du an einer Tür klingelst, Berlin, Bruder, Berlin ist hart, der Job ist garstig, verlier nicht den Mut. Doch nein. Heute ist er Marek, der Paketzusteller, und stolz wie Bolle.
Ich unterschreibe. Ob er noch viel zu tun hat, frage ich. Das ganze Auto sei voller Pakete, sagt er strahlend. „Na dann!“, sage ich. „Aber Sie sind ja früh dran.“
„Oh ja“, erwidert er ernst. „In Tschechien sagen wir: Ein morgendlicher Vogel springt weit.“ Er verbeugt sich erneut und wendet sich zum Gehen. Kurz überlege ich, ihm hinterherzurufen, was man in meiner Welt über den frühen Vogel sagt. Mit einem Lächeln schließe ich die Tür.
Susanne M. Riedel
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