Editorial: Hirn freihalten
Friedrich Merz saß ja vor Kurzem bei Caren Miosgas erster Talk-Sendung in der ARD. „Wir unterscheiden uns von der AfD fundamental“, haute der CDU-Chef da raus, und das macht uns selbstverständlich froh wie den Mops im Haferstroh eines gebeutelten Bauern. Die Demokraten Christi und ihren natürlich innewohnenden Hang zur gerechten Auseinandersetzung auf der Seite der Guten zu wissen, das erleichtert ungemein. Auch meinte Merz, der Mann, der sich um der Deutschen Zahnersatz sorgt und Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene durchaus legitim findet, dass der Aufstieg der AfD ja nun erst seit zwei Jahren so massiv geworden sei („Ampel muss weg“ vs. „Merkel muss weg“).
Nun ist Merz auch Chef derjenigen Partei, aus deren Rippen sich bereits 2017 christdemokratische AfD-Ableger die Werteunion schnitzten, von der Mutterpartei so erfolgreich wegignoriert, dass sie jetzt eine eigene neue Partei gründen. Ja, die Altlasten.
By the way: Das Hotel Silber erinnert derzeit an den Terror-Apparat der Nazis. Schon 1954, erfahren wir in der neuen Ausstellung, und unter Baden-Württembergs erstem CDU-Ministerpräsident Gebhard Müller, konnte der verurteilte Kriegsverbrecher und ehemalige Gestapo-Kommandeur Rudolf Bilfinger problemlos Regierungsrat werden.
Merz‘ CSU-Kollegen beschweren sich derweil über sprachliche Unschärfen. Über „Demos gegen rechts“ – die, so zitiert der „Spiegel“ Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, „Raum aufmachen, in denen konservative Positionen als rechts diffamiert werden können“, was „indirekt zu einer Stärkung der AfD führe“. Auch Hubert Aiwanger macht sich Sorgen um die Unterwanderung der Demos durch Linksextremisten, während AfD-Ideologe Björn Höcke mit Reichsadleraugen Hinweise auf KI-manipulierte Fotos gefunden haben will. Uff.
Soweit will das konservative Monatsmagazin „Cicero“ noch nicht gehen; dort findet man zwar den „Impuls, (...) ein Zeichen gegen die AfD zu setzen“ immerhin „nachvollziehbar“, warnt aber davor, dass sich „unter der als bunt beschworenen Oberfläche kein grauer, uniformer Kern verbirgt.“ Mit ein paar Mausklicks ist es da nicht allzu weit zum Messenger-Dienst Telegram, wo in einem Post vom „Regime“ zu lesen ist, das nun eine „Nationale Front“ gebildet habe und Demonstrationen „über das Netzwerk steuerfinanzierter Vorfeldorganisationen seiner Blockparteien“ inszeniert. Doch halb so wild, die Antifa ist pleite, lesen wir, hat zu viel „Demogeld“ bezahlen müssen. Zumindest Letzteres ist wirklich Satire, der Kolleg:innen des „Postillon“.
Aber ja, tatsächlich kann man sich fragen, was Politiker:innen der Grünen und der SPD, die sich momentan massiv für die Ausweisung von Geflüchteten engagieren, auf Demos gegen Rückführungsphantasien machen, wie unser Kommentator Chris Grodotzki schreibt. Und ein paar Ideen hinterher schiebt, was zu tun sei. Neue Ideen kann es sowieso nie genug geben. Solche für Protest, wie die von Made Höld aus Ravensburg, der gerade eine digitale Menschenkette für Toleranz organisiert. Oder von unserem Kolumnisten Joe Bauer, der mit seinem Bündnis gegen rechts kürzlich ein Gespräch über Nazis in der Fankurve organisiert hat. „Die Rechten sitzen ja nicht nur in den Parlamenten und werden immer mehr und immer selbstverständlicher. Sie tun alles, um unsere Hirne zu entern“, schreibt er in seiner aktuellen Kolumne. Halten Sie daher Ihr Hirn frei, aber bitte nicht leer, und vor allem eingeschaltet.
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