berliner szenen: Eine Busfahrt mit Michael
Im 186er Richtung Innenstadt, es ist sehr voll, aber bei einem der Vierersitze ist noch Platz. Ich will gerade nochmal in meine Mails gucken, da tippt mich der junge Mann, der mir schräg gegenüber sitzt, vorsichtig an. Er deutet auf die Stelle, an der offenbar der Nothammer fehlt.
„Guck mal“, sagt er. „Dis hat jemand weggenommen. Dis is gar nich gut, wenn dis jemand wegnimmt.“ „Das stimmt“, sage ich und begegne kurz seinem aufgeregten Blick hinter sehr dicken Brillengläsern, bevor ich wieder auf mein Handy gucke.
„Wie alt bist du?“, fragt er. Ich schaue ihn etwas ratlos an. Einerseits ist er herzzerreißend freundlich, andererseits hört der gesamte Bus auffallend unauffällig zu.
„Ich bin siebenunddreißigdreiviertel!“, sagt er stolz, dann: „Bist du in meinem Alter?“ „Na ja“, antworte ich, „ich bin ein bisschen älter als du.“ „Wie viel?“ „10 Jahre älter“, sage ich. „Siebenundvierzigdreiviertel?“ „So ungefähr.“ „Dann bisst Du nur so ungefähr in meinem Alter, oder?“ „Ja, so kann man das sagen.“ „Ich heiße Michael“, sagt er feierlich und reicht mir seine Hand. „Hallo Michael, ich bin Susanne“, erwidere ich und gebe ihm meine Hand, die er hoch erfreut und sehr konzentriert zweimal von ganz oben nach ganz unten schüttelt.
„Wohin fährst du?“, fragt Michael. „Zu Freunden“, antworte ich. „Boah“, sagt Michael staunend. „Zu Freunden, echt? Da freust du dich, oder? Oder?“ „Ja“, sage ich, „da freue ich mich.“ Und merke, dass es stimmt. Er erzählt, dass er auf dem Weg ist, einkaufen zu gehen. Ganz alleine. Anerkennend hebe ich den Daumen. Er auch. So sitzen wir eine Weile da und freuen uns.
„Wann kommst du nach Hause?“, fragt er. „Oh, das wird sicher spät.“ „Schlaf ich dann schon?“ „Bestimmt“, sage ich. Als ich aussteige, winken wir uns noch einmal zu. Beseelt fahre ich weiter. Susanne M. Riedel
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